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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel
Autoren: Megan McCafferty
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EINS
    Als Jessica Darling an diesem kalten, wolkenlosen Januarmorgen blindlings mit Marcus Flutie zusammenstößt, kann sie sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal vorgestellt hat, wo sie wohl und wer er wohl sein würde, wenn der unvermeidliche Zusammenstoß passierte.
    Bei ihm ist es allerdings ganz anders.
ZWEI
    Jessica bereut so vieles. Sie hätte sich nach dem ersten Glas Wein gestern Abend nichts mehr einschenken sollen. Hätte nicht stundenlang zusehen sollen, wie sich die Decke dreht. Hätte viel früher zum Schlafmittel greifen sollen. Hätte nicht ein-, zwei-, dreimal auf die Schlummertaste drücken sollen, ehe sie heute Morgen ( »Ich komme zu spät!« ) aus dem Bett schoss. Hätte die Dusche weglassen sollen, nicht das Frühstück. Hätte das Angebot ihres Vaters annehmen sollen, sie zum Flughafen zu fahren, anstatt die Bemerkungen ihrer Mutter über die Unpünktlichkeit der örtlichen Taxiunternehmen unter Beweis zu stellen. Hätte an der Sicherheitskontrolle die rechte Schlange wählen sollen, um nicht hinter der hungrigen und wütenden Reisenden zu landen, die mehr als 100 Milliliter des flüssigen Appetitzüglers mit dem komischen Namen schmuggeln wollte, den Jessica jetzt im Kopf ständig wiederholt, im Takt mit den Turnschuhen an ihren Füßen, die durch Abflughalle C sprinten.
    Hoodia. Hoodia. Hoodia.
    So viele knappe Entscheidungen und Urteile und Fehleinschätzungen haben zu dieser Lage geführt. Zum Zuspätkommen. I’m late late late for Gate C-88. Der Reim gefällt ihr, vor allem im Takt mit ihren laufenden Füßen, und sie verdrängt mit dieser Litanei das albern klingende Diätmittel aus ihrem Kopf.
    I’m late late late for Gate C-88.
    Sie erinnert sich, wie sie früher aus dem Stegreif lautlose Mantras vor sich hin gesagt hat, als sie noch für die Highschool-Mannschaft gelaufen ist. Abklatsch-Reime aus ihrer Kindheit: Miss Mary Mary Mack Mack Mack … Lief von zu Hause weg weg weg. Boygroup-Texte, die sie niemals laut gesungen hätte: You may hate me but it ain’t no lie … Baby, bye, bye, bye. Oder auch nur ihr eigener Name: Jessica Darling … Darling … Darling … Jessica Darling … Darling … Darling. Diese Sprechgesänge hatten keine tiefere Bedeutung – nicht mal die Anrufung ihrer selbst – und sollten sie nur davon ablenken, wie ungern sie so tat, als sei ihr der Ausgang des Rennens wichtig.
    Heute ist er ihr wichtig. Egal, wie schnell sie durch diesen Flughafen sprintet, zu viele Leute stehen still. Stehen ihr im Weg. Oder lungern in sorgloser Entspannung auf dem Boden herum, picken mit schmierigen Fingerspitzen Chips und Kräcker aus überteuerten Snacktüten in ihrem Schoß. Haben anscheinend überhaupt keine Eile, irgendwohin zu kommen, was ziemlich komisch ist, wenn man drüber nachdenkt (aber Jessica hat keine Zeit, drüber nachzudenken), denn schließlich verplempern die Passagiere hier ihre Zeit, bis sie mit Düsenantrieb und neunhundert Stundenkilometern über Staaten und Nationen, Ozeane und Kontinente geschleudert werden. Warum stehen sie jetzt still und ihr im Weg? Allseitig umzingelt vom Rattern der Rollkoffer, die durch die Halle gezerrt werden, gibt sie Gas, bremst wieder ab, trippelt, hüpft und schlängelt sich durch den Bienenstock. Weiter, weiter, weiter. Den größten Teil der Nacht war sie hellwach, die Augen weit offen vor Sorge, und dieser adrenalinsatte Marathonsprint geht ihr langsam an die Substanz. Sie spürt die Müdigkeit, die sich in ihre Muskeln, ihre Knochen, ihr Hirn, ihren Geist schleicht. Aber nein. Nein! Sie darf jetzt nicht langsamer werden. Sie darf diesen Flug nicht verpassen. Ich darf diesen Flug nicht verpassen. Jetzt teilt sich die Halle, und schon wieder muss sie rasch zwischen zwei Optionen wählen. Soll sie auf das Menschenfließband springen oder weiterrennen?
    Auf den Jungferninseln erwartet sie das Gute und Schöne. Ihre besten Freunde sind dort versammelt, um »diese seltene Liebe zwischen zwei Menschen zu feiern, die fehlerhafte, aber furchtlose Verbindung, die jeder zu finden hofft und die sich doch fast immer als trügerisch oder flüchtig erweist«. (Die Anführungsstriche sind nötig, weil das Zitat wörtlich aus der Rede stammt, die Jessica zu diesem Anlass verfasst hat.) Jessica weiß, ihre Freunde werden ihr
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