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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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die Nacht ist wieder mal vorbei, jetzt heißt’s beim Rausgehen: »Sonnenbrillen aufsetzen!«
     
    Eine Zeit lang war Herbert von seinem Arbeitsumfeld so infiziert, dass er unbedingt einmal nach Amerika wollte. Dafür hätte er sogar seine Flugangst überwunden. »Einmal«, sagte er immer, »einmal die Route 66 abfahren!« Er sah mich mit glühenden Augen an: »Verstehst du, mir zwei mieten uns ein Wohnmobil und fahren los. Route 66. Dann kommt eine Kneipe, da gehen wir rein, saufen, dann gehen wir wieder raus und fahren weiter. Dann kommt wieder ein Pub oder so ein Bikerlokal, da gehen wir wieder rein und so weiter, verstehst du? Freiheit, Rock’n’ Roll, Easy Rider!« Dabei schwang er die geballte Faust mit einer solchen Begeisterung, dass ich immer froh war, wenn am Tisch gerade keiner vorbeilief. Zudem hörte ich aus Herberts Reisebeschreibungen heraus, dass er auf diesem Highway eigentlich nichts wollte als fahren und trinken. Für Besichtigungen reizvoller Sehenswürdigkeiten war bei dieser straffen Tour offenbar kein Platz. Und so schwärmte er vor sich hin, bis ich entschlossen und bedeutungsvoll aufstand und dem Gerede ein Ende machte: »Herbert, jetzt ist Schluss. Nicht immer nur reden. Weißt du was? Wir zwei, wir machen das jetzt. Du und ich: Route 66, Freiheit, Rock’n’ Roll, Easy Rider!«
     

Ein Testlauf zu Fuß
     
    Und wir haben es gemacht. Eine Zeit lang jeden Donnerstag. Nein, nicht übertreiben, es war jeden vierten Donnerstag im Monat. Ein ganzes Jahr lang, zwar nicht in Amerika, aber in München. Zu Fuß. So eine Art Testlauf, damit wir, wenn es eines Tages so weit ist, vorbereitet sind. Günstig für uns war es, die Tour von hinten anzufangen, also in Los Angeles, Kalifornien, das war bei uns Ecke Schleißheimer/Schellingstraße. Das Lokal hieß »Sorgenbrecher«. Sehr angenehm, ruhig, vielleicht stand noch der Aschenbrenner Anton am Treseneck, ein ehemaliger Kriegskamerad von Herberts Vater, durch seinen Oberschenkeldurchschuss hatte er eine etwas eigenartige Gangart, der er eine gewisse Popularität im Stadtviertel verdankte. Netter Kerl. Er trank immer Fuhrmann, süßen Rotwein mit Cola, da ihm der Arzt Alkohol verboten hatte. Quatschte ihn jemand an, sagte er meist schon nach dem ersten Satz: »Kommen Sie auf den Punkt, meine Zeit ist knapp!« Und damit war jedes Gelabere im Keim erstickt. Denn auf den Punkt kommen wollte und konnte in dieser Kneipe keiner.
     
    Herbert und ich hatten zum Einstieg zwei, drei Halbe Bier und den einen oder anderen Magenbitter, Underberg, Fernet, oder auch einen Turmwächter, je nach Stimmung. Dann ging’s aber auch schon weiter, die Schwindstraße runter, Richtung Phoenix/Arizona, in den »Zapfhahn«.
     
    Dort war es sehr ruhig. Das hing vielleicht mit der Tageszeit zusammen, es war ja auch erst halb acht in der Früh. Auch dort, ganz gelassen zwei, drei Halbe Bier, diesmal aber die hellen Kurzen, also Korn, Wodka oder Obstler. Danach in die Heßstraße, quasi schon New Mexico. Das Lokal hieß »Fliesenorgie«, war früher eine Metzgerei, bis oben hin weiß gefliest, und der Wirt, der faule Hund, hat das Teil einfach so übernommen, wie es war. Unter dem Deckmantel der Originalität nannte er es einfach »Fliesenorgie«. Es gab dort auch keine Heizung. Es war immer etwas frisch in der »Fliesenorgie«, um nicht zu sagen arschkalt. Deshalb tranken wir auch immer einen Aquavit. »Was kümmelt’s uns!«, hieß dort unser Trinkspruch. Dazu nur ein kleines Bier, da die Gläser dort extrem dreckig waren.
     
    Anschließend ging’s die Luisenstraße wieder hoch in den »Siphon«. Da waren wir dann schon in Texas. »Siphon« klingt zwar vom Namen her etwas unsportlich, die Atmosphäre dort war aber immer sehr nett. Es war schon früher Mittag, recht gut gefüllt, und wir hatten auch unsere geistige Hoch-Zeit.
     
    Eine übersprudelnde Kreativität befiel uns dort, wir schrieben auf kleine Zettel kurze Gedichte und trugen diese dann laut vor:
     
    »So langsam solltest du begreifen,
     
    dein Bauch erlaubt kein Hemd mit Streifen!«
     
    Solche Reime etwa, aber durchaus auch Anspruchsloses. Das gab dann immer ein großes Hallo und eine Runde Schnaps, später wurden die einzelnen Reime oft zu einem furiosen Schlager zusammengefasst, und ich glaube, so mancher Evergreen wäre dort geboren worden, hätten wir uns um die richtige Vermarktung bemüht. Aber wir mussten schließlich unsere Tour fortsetzen.
     
    Es ging weiter, wieder Richtung Schellingstraße,
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