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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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Automaten stehen.
     
    Und alles wird kleiner, überall gibt es Mikrochips, die Tastaturen von Mobiltelefonen sind von der Grö ße her nur noch von Dreijährigen bedienbar, aber der Geldeinzahlungsautomat, ein riesiger Kasten, gleicht einem monströsen Schiffsdieselmotor, der die Vermutung zulässt, dass da einer drinsitzt. Du schiebst deine Karte in den Schlitz, es öffnet sich ein gieriger Schacht, du schmeißt deine zwei Fünfziger rein, der Schacht schließt sich, und nach gefühlten drei Minuten grauenerregender Geräusche öffnet sich der Schacht wieder, und es kommt ein 50-Euro-Schein wieder raus wegen einer kaum erkennbaren abgeknickten Ecke, die man wieder glatt falten möge. Und mit diesem 50-Euro-Schein ist der Herbert wieder in die Filiale rein und hat eine Schlägerei angefangen. Ich dachte noch, das haben sie jetzt von ihrem Personaleinsparen, zwei so windige Bürscherl sind natürlich zu wenig für Herbert. Na gut, sie waren auch nicht vorbereitet.
     
    Dies nur zur näheren Erläuterung. Der Herbert macht nicht nur Sprüche, auf den muss man schon aufpassen.
     
    Während Herbert am letzten Glas seiner Weinprobe nippt, fahre ich mit meinen Urlaubsimpressionen fort: »Überleg doch mal, Hotel am Meer, da ist heutzutage alles All-inclusive, da kannst du abends an der Hotelbar so viel saufen, wie du willst, brauchst nix mehr bezahlen!«
     
    Herbert hält das Glas schwenkend gegen das Licht: »Ich hab mein Leben lang, wenn ich gsuffa hab, zoit.« Er leert das Glas genüsslich und sagt: »Derf i des jetzt a nimmer?«
     
    »Ja, dann machst halt einen Gesundheitsurlaub, tust ein bisserl was für deinen Körper!«
     
    »Mein Körper ist froh, wenn er daheim seine Ruhe hat, und diese Meinung teile ich mit ihm. Mir glangt’s doch jetzt scho, wenn ich sie jeden Tag sehe, diese Wahnsinnigen, wie sie mit ihren Skistecken durch die Pampas wackeln, mit aufgrissne Aung, ois warns alle auf Ecstasy!«
     
    »O.K., Herbert, es gibt Möglichkeiten. Dann machst halt einen Bildungsurlaub, das tut dir auch gut, schaust dir ein paar schöne alte Mauern an, Kirchen, Kathedralen!«
     
    »Gäh, des oide Glump von damois«, erwidert er mit einer schlummernden Wut, die ich aus der ruckartigen Wischtechnik seiner Thekenreinigung herauslese. »Kathedralen soi ich mir anschauen, wia hamsn de baut, die Kathedralen, damals, ha, wia hamsn de baut?«
     
    »Ja, Herbert, so genau weiß ich das jetzt auch nicht!«
     
    »Mit Tausenden von Tagelöhnern, Sklaven, halb verhungerte Kinder ham de baut, barfuß auf achtzig Meter Höhe hams de Steinquader hochhieven müssen …«, schrie er mich an, »wenn einer ausrutscht, runterfällt, egal, sind ja genug da, und da würdest du mich heute wieder hinschicken, dass ich womöglich noch drei Euro fuchzig Eintritt bezahle, die Verbrechen von damals nachträglich finanziere, Renaissance, Barock und wie sie alle heißen, diese Verbrecher!«
     
    Wütend wirft er seinen Wischlappen in die Ecke. Eine beklemmende Stille durchzieht seine kleine Vinothek, und die gestapelten Weinkisten verwandeln sich für Sekunden in Kirchtürme und Minarette. Plötzlich steht, von uns unbemerkt, ein älterer Herr im Laden, der anscheinend das Ende von Herberts Tirade miterleben durfte, denn er beendete die Stille mit dem ergänzenden Satz: »Ja, die Nazis sind überall!«
     

Route 66
     

Freiheit, Rock’n’ Roll, Easy Rider
     
    Der Herbert war nicht immer so. Auch er hatte Träume. Mitte der neunziger Jahre arbeitete er noch als Roady und Ersatztechniker bei mittelgroßen Konzerten. Er war darin richtig gut. Wenn irgendwas nicht klappte, Herbert war da. Es gab nichts, wofür er keine Lösung hatte. Er lief ständig als lebende Werkzeugtasche herum. Wenn er herumlief, klapperte und schepperte alles, und jeder wusste, solange wir dieses Scheppern hören, kann uns nichts passieren. Die Musiker hatten sofort Vertrauen zu ihm. Wie er das mit der Sprache hinkriegte, war uns immer ein Rätsel. Die Musiker sprachen einen grässlichen Slang, Herbert jubelte in sein schweres Bairisch ein paar englische Brocken, und sie verstanden sich prächtig. »Wenn i sog, possible, dann haut des scho hi, ich steig amoi nauf, sen we look!«
     
    Es waren meist amerikanische Countrybands auf Gasttour durch Europa. Die Kontakte entstanden damals über seine Stammkneipe, den »Rattlesnakesaloon«. Dort saß ich mit ihm oft nach der Show, wir schimpften, meckerten und schwärmten, bis wir die Tonnenmänner draußen hörten und wussten,
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