Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Mutter verschwand

Als Mutter verschwand

Titel: Als Mutter verschwand
Autoren: Kyung-Sook Shin
Vom Netzwerk:
kommen – ein paar von euch fuhren dann eben nach Hause, um mit ihr zu feiern. Nach und nach aber gingt ihr dazu über, auch Mama an Vaters Geburtstag zu beschenken. Und so spielte es
    sich allmählich ein, dass ihr eigentlicher Geburtstag ganz übergangen wurde. Die Socken, die sie für alle Familienmitglieder zu kaufen pflegte, stapelten sich unbenutzt in ihrer Kommode.
    Name: So-Nyo Park
    Geburtsdatum: 24. Juli 1938 (Alter 69)
    Ã„ußeres: Kurzes, grau meliertes Haar (Dauerwelle), ausgeprägte Wangenknochen, zuletzt bekleidet mit hellblauer Bluse, weißer Jacke und beigefarbenem Faltenrock
    Zuletzt gesehen: U-Bahnstation Seoul-Hauptbahnhof
    Ihr könnt euch nicht entscheiden, welches Foto von Mama man nehmen sollte. Alle finden, dass es das aktuellste Foto sein muss, aber niemand hat ein aktuelles Foto von ihr. Dir fällt wieder ein, dass Mama irgendwann nicht mehr fotografiert werden wollte. Selbst wenn Aufnahmen von der ganzen Familie gemacht wurden, schlich sie sich davon. Das jüngste Foto von Mama ist ein Familienfoto von Vaters siebzigstem Geburtstag. Mama sah hübsch aus in ihrem hellblauen Hanbok – der traditionellen koreanischen Tracht –; sie kam frisch vom Friseur und hatte sogar roten Lippenstift aufgelegt. Dein jüngerer Bruder findet, dass sie auf diesem Bild ganz anders aussieht als zum Zeitpunkt ihres Verschwindens. Er glaubt nicht, dass die Leute sie nach dem Foto wiedererkennen würden, nicht mal nach einer Ausschnittvergrößerung. Er sagt, als er dieses Bild von ihr auf die Internetseite gesetzt habe, hätten die Leute geantwortet: »Ihre Mutter sieht toll aus, gar nicht wie eine Frau, die sich einfach so verirrt.« Ihr beschließt nachzuschauen, ob jemand ein anderes Foto von Mama hat.
    Hyong-Chol sagt, du sollst noch mehr auf das Flugblatt schreiben. Als du ihn fragend ansiehst, sagt er: »Denk dir was aus, was die Leute emotional packt.« Was soll das sein? Wenn du schreibst, Bitte helfen Sie uns, unsere Mutter zu finden , sagt er, das sei zu schlicht. Wenn du schreibst, Wir suchen unsere Mutter , sagt er, »Mutter« sei zu formell, du sollst »Mama« schreiben. Wenn du schreibst, Wir suchen unsere Mama , findet er es zu kindlich. Wenn du schreibst, Bitte benachrichtigen Sie uns, falls Sie diese Frau gesehen haben , blafft er: »Was bist du denn für eine Schriftstellerin?« Dir fällt einfach nichts ein, womit Hyong-Chol zufrieden wäre.
    Dein zweiter Bruder sagt: »Das ist doch ganz leicht: Man muss nur schreiben, dass es eine Belohnung gibt.«
    Als du Großzügige Belohnung! hinschreibst, sagt deine Schwägerin, dass man das so nicht schreiben könne: Die Leute würden nur reagieren, wenn man eine bestimmte Summe angebe.
    Â»Welche Summe soll ich denn nennen?«
    Â»Eine Million Won?«
    Â»Das reicht nicht.«
    Â»Drei Millionen Won?«
    Â»Das scheint mir immer noch zu wenig.«
    Â»Dann eben fünf Millionen Won.«
    Gegen fünf Millionen hat niemand etwas einzuwenden. Du schreibst: Die Belohnung beträgt fünf Millionen Won , und machst einen Punkt dahinter. Dein zweiter Bruder sagt, du sollst Belohnung: 5 Millionen Won schreiben. Dein jüngster Bruder sagt, du sollst 5 Millionen Won in größerer Schrift schreiben. Alle versprechen, dir ein besseres Foto von Mama zu mailen, wenn sie eins finden. Du wirst beauftragt, das Flugblatt noch zu ergänzen und drucken zu lassen, und der jüngste Bruder bietet sich an, die fertigen Exemplare abzuholen und allen Familienmitgliedern welche zu bringen. Als du vorschlägst, doch jemanden für das Verteilen der Flugblätter zu bezahlen, sagt Hyong-Chol: »Das müssen wir selbst machen. Unter der Woche verteilt jeder welche, wenn er Zeit hat, und am Wochenende machen wir’s alle zusammen.«
    Du brummelst: »In dem Tempo finden wir Mama nie.«
    Â»Besser, als einfach herumzusitzen. Wir tun doch schon, was wir können«, gibt Hyong-Chol zurück.
    Â»Was heißt ›was wir können‹?«
    Â»Wir setzen Anzeigen in die Zeitung.«
    Â»Dann ist alles, was wir können, Anzeigenplatz bezahlen?«
    Â»Was sollen wir denn deiner Meinung nach tun? Sollen wir alle morgen unsere Arbeit aufgeben und nur noch durch die Stadt streifen? Wenn wir Mama so finden könnten, würde ich auch das tun.«
    Du hörst auf, mit Hyong-Chol zu streiten, weil dir klar wird, dass du ihm die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher