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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl
Autoren: Juliet Nicolson
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»Erstens weiß ich, dass du Joshua ein wunderbarer Vater sein wirst, und ich beneide ihn darum. Und zweitens«, und hier zitterte Sams Stimme einen Moment, »bist du der beste Cousin, den May und ich haben können.«
    Als die beiden Männer den Pub verlassen hatten, gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander her. Der Jüngere, schmächtiger und blond, neben dem Älteren, kräftiger gebaut und dunkelhaarig. Als sie um die Ecke in die Oak Street bogen, blieb Sam vor dem Kriegerdenkmal stehen.
    »Ich weiß noch, wie du gesagt hast, diese Männer hätten ihre Pflicht getan«, sagte er fast schüchtern. »Ich denke, wir alle könnten von ihnen lernen, meinst du nicht?«
    Nat legte den Arm um Sams Schulter, und gemeinsam gingen sie die kurze Strecke bis zur Nummer 52.
    »Hereinspaziert, hereinspaziert, Schabbat Schalom!«, sagte Rachel und schob sie in die Küche. Der Tisch war zum Schabbatfest gedeckt. »Nat, wir nehmen unsere Mahlzeit pünktlich ein, denn wir alle wollen den König hören, das heißt den neuesten alten König, falls du weißt, was ich meine. Heute Abend um zehn wird er eine Radioansprache halten.«
    Als Rachel die Zeitung sah, die Nat in der Hand hielt, fragte sie sofort beunruhigt: »Was hast du da? Etwa noch mehr schlimme Nachrichten?«
    »Ich habe eine Ausnahme gemacht und mir die heutige Ausgabe selbst gekauft«, antwortete Nat. »Ich konnte einfach nicht bis morgen warten. Sieh mal.«
    Rachel, Simon, Sam und May beugten sich über die Zeitung.
    »Nein so was«, sagte Rachel mit einem lauten Seufzer. »Ich meine, es schwarz auf weiß zu sehen. Er tritt tatsächlich zurück. Da wird man nachdenklich, oder? Ich meine, wem wir trauen können. Nat, ich habe dich etwas gefragt!«
    »Ich stimme dir zu«, sagte Nat. »Schwer zu glauben, dass ein Mann, dem dieses Land – unser Land, sollte ich sagen – so am Herzen zu liegen schien, uns einfach im Stich lässt. Liebe ist eine Sache, ich weiß, aber bei Königen sollte sie manchmal vielleicht erst an zweiter Stelle kommen.«
    »Immerhin, May hat gewusst, dass sich da was zusammenbraut, stimmt's, May?« Rachel warf ihr einen anerkennenden
Blick zu. »Mir gefällt ein Mädchen, das ein Geheimnis hüten kann, wenn man sie darum bittet, und du hast gut daran getan, die königliche Familie zu respektieren. Ich bin überzeugt, Sir Philip hat Achtung vor dir, weil du Geheimnisse für dich behalten kannst, Mädchen, und Sir Philips Urteil genügt mir.« Rachel, die nicht nachtragend war, hatte May längst verziehen, dass sie so getan hatte, als sei der König in ein Mitglied des griechischen Königshauses verliebt. Sie konnte sogar darüber flachsen, dass, wenn es so gewesen wäre, die Dinge jetzt anders stünden.
    Nach dem Schabbatmahl versammelte sich die ganze Familie um das Radio. Sobald sie hörten, wie Sir John Reith den bisherigen König als »Prinz Edward« vorstellte, bestand Rachel darauf, dass alle sich aus Respekt erhoben.
    »Sie müssen mir glauben«, begann der bisherige König langsam und in dem eigentümlichen Akzent, der May so vertraut war, einer Mischung aus gekürzten Vokalen und transatlantisch gerollten Konsonanten, »wenn ich Ihnen sage, dass es mir ohne die Hilfe und Unterstützung der Frau, die ich liebe, unmöglich wäre, die schwere Last der Verantwortung zu tragen und meine Pflichten als König so zu erfüllen, wie ich es wünsche.«
    Mit einer Stimme, so fest und klar, als spräche er vom Ledersofa zu ihnen, ließ sich der Mann, der bis eben noch König gewesen war, Zeit mit dem Personalpronomen und unterstrich, um auch den letzten Zweifel zu beseitigen, dass er die Entscheidung ganz allein getroffen hatte. Gebannt wie die ganze Nation hörte die Familie in der Oak Street sein Flehen um Verständnis, eine Botschaft, die jedem galt, der je das tiefe und echte Gefühl der Liebe empfunden hatte, selbst Zynikern wie Nat. Als die Übertragung beendet war, ergriff Rachel als Erste das Wort.
    »Wenn man bedenkt, dass er jede ausländische Prinzessin hätte haben können. Prinzessin Wallis, falls sie so heißen wird, ist auch nicht königlicher als Mrs Cohen oder ich. Nun ja, es gibt solche und solche. Setz Wasser auf, Sarah. Ich denke, wir alle können eine schöne Tasse Tee vertragen.«
     
    Als May am nächsten Morgen herunterkam, brannte im Vorderzimmer bereits das Feuer im Kamin. Das Rascheln der Zeitung, die aufdringlichen Stimmen aus dem Radio, das Hungergeschrei, das Joshua im Stundentakt ausstieß – sie brauchte frische
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