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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl
Autoren: Juliet Nicolson
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hatte Miss Nettlefold stolz erzählt, als sie am Nachmittag von der Hamilton Terrace in St John's Wood aufgebrochen waren. »Könnten Sie das für mich in Verwahrung nehmen? So wie ich mich kenne, würde ich mich möglicherweise draufsetzen, sofern ich zwischen mir und Wiggle hier auf der Rückbank überhaupt Platz dafür finde. Schallplatten haben eine seltsame Art zu zerbrechen, wenn man sich draufsetzt, finden Sie nicht?«
    Das Päckchen unversehrt unter dem Arm, ging May zum Portal und zog an der Glocke. Ein Butler in einem schwarzen Anzug öffnete ihr. Er hatte eine schmale Figur und war elegant wie eine russische Sobranie.
    »Entschuldigen Sie bitte die Störung, Sir, aber Miss Nettlefold hat dieses Paket im Wagen vergessen.«
    »Ich werde dafür sorgen, dass sie es unverzüglich erhält«, erwiderte er mit unmissverständlicher Autorität. Doch in May kamen Zweifel auf. Schon früh in ihrem Leben hatte sie gelernt, dass man wichtige Dinge besser selbst erledigt.
    »Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben«, sagte sie vorsichtig und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen, das ihre Entschlossenheit zu untergraben drohte, »Miss
Nettlefold hat das Päckchen in meine Obhut gegeben, und ich würde gern sicherstellen, dass sie es erhält.«
    »Ich versichere Ihnen, ich werde es Miss Nettlefold wohlbehalten aushändigen.«
    Aber May ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Sie hielt das Paket fest und wünschte, sie hätte die Schirmmütze wieder aufgesetzt. Zwischen ihnen entstand eine kurze Pause.
    »Nun gut«, schnauzte der zigarettenschlanke Butler und fuhr sich mit seiner dünnen Zunge über die Lippen.
    May folgte dem steifen Rücken des Butlers. Sie gingen einen kurzen Korridor entlang, der in einen weiß gestrichenen Saal mündete. Die Kahlheit des achteckigen, hohen Raums wurde von den hellgelben Ledersesseln, die in den acht Ecken platziert waren, etwas abgemildert. Das Klackern von Mays Chauffeursschuhen auf dem schwarz-weiß gemusterten Marmorfußboden klang wie eine Antwort auf die ebenso harten Sohlen des Butlers. Um eine der Ecken lugte plötzlich eine hübsche junge Frau, die eine rosafarbene Dienstmädchenuniform und ein spitzenbesetztes Hütchen trug.
    »Entschuldigen Sie, Mr Osborne«, sagte sie. »Miss Spry ist am Telefon und möchte wissen, ob es Ihnen recht ist, wenn sie später vorbeikommt, um die Blumen fürs Wochenende zu arrangieren.«
    »Sie soll bei Mrs Mason nachfragen, ob es ihr passt. Wir wollen die Haushälterin nicht verärgern. Du weißt ja, wie sie ist«, antwortete Mr Osborne kurz angebunden und durchquerte dann vor May den Saal.
    Die Lilien, die im Abstand von wenigen Metern in Vasen drapiert auf Sockeln standen, verbreiteten einen unangenehm süßlichen Duft. Ein Stück weit entfernt drang aus einer geschlossenen Tür ein schwaches Bellen. May fühlte sich unnatürlich erhitzt. Sie hatte keine Zeit, ihren frisch geschnittenen Bubikopf zu überprüfen, nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken, als sie sich auch schon ohne jede Vorwarnung in einer offenen Tür wie
derfand und zwei Gesichter sah, die sich überrascht zu ihr umwandten.
    »May? Was in aller Welt tun Sie denn hier, meine Liebe? Stimmt etwas nicht?«
    Noch bevor May antworten konnte, ergriff der Butler das Wort. »Verzeihen Sie die Unterbrechung, Madam. Ihre Fahrerin hat darauf bestanden , Ihnen dieses Päckchen eigenhändig zu überbringen.«
    »Bitte führen Sie sie herein, Osborne«, wies Miss Nettlefolds Freundin ihn an. »Ach, und haben Sie schon einen Wagen bestellt, um den Coiffeur vom Zug abzuholen?«
    In der bis dahin ungerührten Miene des Butlers spiegelte sich Verärgerung. »Selbstverständlich«, entgegnete er kurz und fügte nachträglich ein »Madam« hinzu.
    Er beugte sich über ein Tablett mit Porzellantässchen, dünn wie Eierschalen, und schenkte blassen Tee ein, bevor er Miss Nettlefold einen Teller mit winzigen Lachshäppchen anbot.
    May fragte sich, was sie wohl für einen Eindruck machte in ihrer dunklen Livree und mit dem Pony, der ihr noch immer feucht auf der Stirn klebte. Sie nahm sich fest vor, beim Fahren ihre Schirmmütze in Zukunft abzusetzen. Als sie das vertraute Gesicht von Miss Nettlefolds Freundin betrachtete, bemühte sie sich erneut, es einzuordnen. Kannte sie es vielleicht von einem berühmten Gemälde?
    Miss Nettlefold trat ein und machte zwei Schritte auf sie zu. »Waaaa-llis«, flötete sie und zog die Vokale ungewöhnlich in die Länge. »Darf ich dir meine
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