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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl
Autoren: Juliet Nicolson
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Nettlefold deutete auf ein Wort, das oben auf der Platte aufgedruckt war, der Name der Schallplattenfirma: Belvedere. Genau wie Fort Belvedere, der Name des Hauses, in dem sie alle sich gerade aufhielten.
    »Wirklich, ich muss sagen, das ist zweifelsfrei das beste Geschenk, das ich je bekommen habe. Findest du nicht auch, David? Siehst du, was für eine gescheite, einfallsreiche, großzügige Freundin ich zu uns eingeladen habe? Wenn wir erst einmal zu Handy's Band tanzen, werden wir all unsere Sorgen vergessen. Es wird sein wie in den guten alten Zeiten, bevor du …«
    Mitten im Satz brach sie ab und rannte, die Schallplatte in der Hand, zum Grammophon.
    »Komm her, Evangeline, Liebling! Wir wollen sie uns auf der Stelle anhören. Und dazu einen Martini trinken! Wer hat gesagt, es sei zu früh für einen Martini? Es ist nie zu früh für einen Cocktail, nicht wahr, Vangey?« Mrs Simpson wusste ihre opulenten Gesten ebenso ausdrucksvoll einzusetzen wie ihr Lächeln.
    Der König wirkte verdutzt über diesen mädchenhaften Schwall von Erinnerungen. Als er May entdeckte, die unsicher in der Ecke neben der Tür verharrte, ging er zu ihr hinüber. May hatte versucht, sich unbemerkt aus dem Raum mit dem weichen Lampenlicht und dem glänzenden Mobiliar zu stehlen.
    »Ich glaube, Miss Nettlefold hat erwähnt, dass Sie das Autofahren in der Karibik gelernt haben?«, begann der König. »Eine herrliche Gegend! Ich war selbst dort. Nach dem Krieg habe ich sie mit dem Schiff bereist! Was für freundliche Menschen, nicht wahr? Von welcher Insel kommen Sie genau?«
    »Barbados, Sir«, murmelte sie, aber da richtete sich seine Aufmerksamkeit schon wieder auf Mrs Simpson, die zu den Klängen der Musik durchs Zimmer glitt. Als sie vorüberkam, streif
te die Hand des Königs ihren Kaschmirpullover. Er konnte den Blick nicht von ihr lösen.
    »Stell dir vor, Liebling. May kommt aus Barbados. Eines Tages, sehr bald , Liebling«, sagte er und erhob seine Stimme im Wettstreit mit dem schmachtenden Blues-Gesang, der aus dem Grammophon drang, »eines Tages werden WIR losfahren und etwas Sonnenschein finden, das verspreche ich dir.«
    Als Mrs Simpson hörte, mit welchem Nachdruck der König das Personalpronomen betonte, bedeutete sie ihm, nicht weiterzusprechen. Sie hob beschwichtigend die Hand und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Ihre Nägel waren purpurrot lackiert und ihre ungewöhnlich blasse Haut, abgesehen von einem Muttermal auf der Wange, so glatt wie das Innere einer Muschelschale. Mrs Simpson wirbelte wieder hinweg und wandte ihnen den Rücken zu. May konnte auch von hinten noch ihren breiten Kiefer erkennen, der zu beiden Seiten ihres Gesichts hervorstand, ähnlich der Rückenansicht einer Kobra. Der König entnahm einem Lederetui, das in der Felltasche an seiner Hüfte steckte, eine neue Zigarette und zündete sich diese mit der noch brennenden Glut des Zigarettenstummels an, den er eben ausdrücken wollte. Die Intimität dieser kleinen Prozedur brachte May fast aus der Fassung, und sie fragte sich, wie lange sie die unerwartete Begegnung noch ertragen konnte.
    »Ich war sehr beeindruckt, als ich von Ihrem Geschick am Steuer gehört habe«, fuhr er in seinem transatlantisch angehauchten Akzent fort. May fühlte ihren Atem vor Anspannung schwerer werden. »Ich liebe Autos«, sagte der König. »Ich habe in der Tat lange darüber nachgedacht, bis ich eine dieser neuen amerikanischen Limousinen geordert habe. Mein Chauffeur Ladbroke ist noch skeptisch. Vielleicht wären Sie so freundlich, mit ihm eine Spritztour zu machen, wenn Sie Miss Nettlefold das nächste Mal hierherbringen? Vielleicht können ja Sie ihn davon überzeugen, dass man mit der Zeit Schritt halten muss?«
    May sah sich außerstande, als Antwort auf diese freundliche
Bitte mehr als ein Erröten hervorzubringen. Und plötzlich war alles vorbei. Mr Osborne war zurückgekehrt und wartete an der Tür. Mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes bedeutete er May, dass es an der Zeit war, zu gehen.
    Vorbei an den gelben Sesseln und über den marmornen Fußboden – und schon stand sie wieder im frischen Februarwind, der ihren erhitzten Wangen etwas Kühle zufächerte. Es war ihr, als sei sie einem Gewächshaus entronnen, wo seltene Pflanzen gehegt wurden, die ohne sorgsame Pflege nicht überleben konnten. Hier draußen war die wirkliche Welt. Dort drinnen glich alles einem Treibhaus des Scheins. Sie gelangte zum Wagen und atmete den vertrauten Ledergeruch der
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