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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl
Autoren: Juliet Nicolson
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mir eine Freundin waren, und mich entschuldigen, falls ich mich Ihnen gegenüber gelegentlich etwas barsch verhalten habe. Ich wollte Sie nur vor Ihrer eigenen Arglosigkeit schützen. Ich hoffe, Sie werden bald lernen, dass wir anderen Menschen, besonders Männern, nicht immer trauen können und dass Freundinnen, Sie mögen noch so großes Vertrauen in sie haben, Sie aus einer Laune heraus fallen lassen können.«
    May war sich nicht sicher, auf wen die ältere Frau sich bezog. Zwar hatte Miss Nettlefold einige unfreundliche Bemerkungen über Julian gemacht, aber May konnte sich kaum mehr daran erinnern. Als Miss Nettlefold sie bat, ihr ihre Kleider nach Baltimore nachzuschicken, versicherte May ihr, sie werde sich darum kümmern. Bei der Ankunft am Hotel in Portsmouth überlegte sie, ob es angebracht war, die Intimität einer Abschiedsumarmung zu wagen. Als der Hotelportier jedoch den kleinen Koffer aus dem Kofferraum hob, verschränkte Miss Nettlefold die Arme vor der Brust und blickte hinaus aufs Meer. Die beiden Frauen standen am Wagen, und einen Moment lang blickten sie einander fest in die Augen. Dann schaute May Thomas Miss Nettlefold hinterher, wie sie, die breiten Schultern unter dem flappenden Pelzmantel hochgezogen, allein das kleine Ho
tel am Kai betrat. Selten hatte May jemanden gesehen, der so einsam wirkte.
     
    Kurz nach Miss Nettlefolds freiwilligem Exil floh auch Mrs Simpson im Schutz der Dunkelheit aus dem Land, und niemand, schon gar nicht Mrs Simpson selbst, wusste, wann sie mit dem Mann, der nicht länger König war, wiedervereinigt sein würde. In gewisser Weise tat sie May leid. May wusste, was es hieß, von jemandem getrennt zu sein, nach dessen Gegenwart man sich jeden Augenblick des Tages sehnte. Als wären die erschütternden Begleitumstände ihrer Abreise nicht genug, hatte Valerie, Mr Moncktons Tochter, May die traurige Nachricht von Loafers Tod übermittelt. Als Osborne, der Butler, Mrs Simpsons Welpen in einem Schrank am Kopf der Treppe fand, vermutete er zunächst, Loafer habe sich versteckt, um den erhobenen Stimmen und dem verstörenden Lärm im Haus zu entfliehen. Doch offensichtlich war er schon seit geraumer Weile tot, denn sein Körper war eiskalt gewesen. Der örtliche Tierarzt machte einige Tests und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass Loafers Blut mit einer unerklärlichen, tödlichen Dosis Rattengift kontaminiert war.
     
    Als May und Sir Philip am Ende der Woche, in der der König seine Liebe zu einer Frau über die Pflicht gegenüber seinem Land gestellt hatte, mit dem Wagen nach Cuckmere fuhren, kam zum ersten Mal seit ihrer unerwarteten Abreise Miss Nettlefold zur Sprache. Etwas war geschehen an dem Tag, den sie mit Sir John im Crystal Palace verbracht hatte, etwas, was Miss Nettlefolds rätselhafte Flucht ausgelöst hatte. May bezweifelte jedoch, ob sie, Sir Philip oder sonst wer je die Wahrheit erfahren würde. Vielleicht würde ein Mittagessen mit Sir John im Club etwas Licht auf die mysteriöse Angelegenheit werfen, dachte Philip bei sich.
    »Ich frage mich, ob sie sich erlaubt hätte, so unglücklich zu
werden, wenn Joan hier gewesen wäre«, sagte er laut, als May schilderte, wie sie Miss Nettlefold zum Hotel am Hafen von Portsmouth gefahren hatte. »Sie kam mir immer vor wie eine verlorene Seele. Die Welt ist ein willkürlicher Ort«, fuhr er fort. »Es gibt Menschen, die wider Willen Erfolg haben, und andere, die den Waffen der Sabotage, die sie gegen sich selbst richten, nicht entkommen. Es ist, als würde uns der Instinkt der Selbsterhaltung mitunter im Stich lassen.«
    Sir Philip holte ein Taschentuch hervor, schneuzte sich die Nase und wischte sich mit der flachen Hand leicht über beide Augen, bevor er seine Pfeife aufhob und sie mit Tabak stopfte. Leicht verlegen über diese Gefühlsbekundung, wandte May ihren Blick ab und richtete ihn geradeaus auf die Straße.
    Nachdem sie wenig später in Cuckmere eingetroffen waren, begab sich May direkt in Sir Philips Arbeitszimmer, um sich um die liegengebliebene Korrespondenz zu kümmern. Als sie den Raum betrat, bemerkte sie, dass Sir Philips Lieblingsfoto von Lady Joan wieder an seinem angestammten Platz auf dem Schreibtisch stand.
     
    Auch Mrs Cage war aus der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers an die Arbeit zurückgekehrt. Als sie sich an die komplizierte Aufgabe machte, das Haus für Weihnachten zu schmücken, waren ihre gewöhnliche Energie und Zielstrebigkeit wiederhergestellt. Rupert und Bettina
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