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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Ausschnitte unter ihnen. Schwarze Hosen waren mit einem Mal körpernah geschnitten, und es gab mehr Gebaumel und Gerempel denn je, als jener andere Teil sich in Phantasien von ihr wisst schon was erging. HEILIG, HEILIG, HEILIG IST DER HERR DER HIMMLISCHEN HEERSCHAREN! DIE GANZE WELT IST ERFÜLLT VON SEINER HERRLICHKEIT!
    Der Ehrwürdige Rabbi machte diese beunruhigende Entwicklung zum Gegenstand einer seiner zahlreichen Nachmittagspredigten. UND WIR ALLE SOLLTEN JENES ÜBERAUS BEDEUTSAME BIBLISCHE GLEICHNIS KENNEN, DAS DIE VOLLENDUNG VON HIMMEL UND HÖLLE BESCHREIBT. UND WIE WIR ALLE WISSEN ODER WISSEN SOLLTEN, SCHUF DER HERR AM ZWEITEN TAG DIE GEGENSÄTZLICHEN REICHE DES HIMMELS UND DER HÖLLE, WOHIN WIR UND DIE WANKLER - MÖGEN SIE NICHTS ALS WARME KLEIDUNG MITNEHMEN - ERHOBEN BEZIEHUNGSWEISE VERDAMMT WERDEN. UND ABER WIR DÜRFEN NICHT DEN NÄCHSTEN UND DRITTEN TAG VERGESSEN, ALS GOTT SAH, DASS DER HIMMEL NICHT SO HIMMLISCH UND DIE HÖLLE NICHT SO HÖLLISCH WAR, WIE ER SIE SICH GEWÜNSCHT HATTE. UND WIR KÖNNEN DEN UNBEDEUTENDEREN UND SCHWIERIGER ZU FINDENDEN TEXTEN ENTNEHMEN, DASS ER, DER VATER DER VÄTER DER VÄTER, DEN VORHANG ZWISCHEN DEN BEIDEN REICHEN ÖFFNETE, AUF DASS DIE SELIGEN UND DIE VERDAMMTEN EINANDER SEHEN KÖNNTEN. UND WIE ER GEHOFFT HATTE, ERFREUTEN SICH DIE SELIGEN AN DEN QUALEN DER VERDAMMTEN, UND IHRE EIGENE FREUDE WURDE ANGESICHTS DES SCHMERZES UMSO GRÖSSER. UND DIE VERDAMMTEN SAHEN DIE SELIGEN, UND SIE SAHEN, WIE DIESE SCHINKEN UND HUMMER ASSEN, UND SIE SAHEN, WAS DIESE IN DIE HINTERN VON MENSTRUIERENDEN SCHICKSEN STECKTEN, UND IHR EIGENER SCHMERZ WURDE NOCH GRÖSSER. UND GOTT SAH, DASS DAS BESSER WAR. DOCH DER REIZ DES FENSTERS WURDE ZU GROSS, UND ANSTATT DIE FREUDEN DES HIMMELS ZU GENIESSEN, LIESSEN SICH DIE SELIGEN VON DEN QUALEN DER HÖLLE FASZINIEREN, UND ANSTATT UNTER DEN QUALEN DER HÖLLE ZU LEIDEN, ERFREUTEN SICH DIE VERDAMMTEN AN DEN NACHEMPFUNDENEN FREUDEN DES HIMMELS. UND IM LAUF DER ZEIT KAM ES ZU EINEM AUSGLEICH: SIE STARRTEN FORTWÄHREND EINANDER AN, SIE STARRTEN FORTWÄHREND SICH SELBST AN, UND DAS FENSTER WURDE ZU EINEM SPIEGEL, VON DEM WEDER DIE SELIGEN NOCH DIE VERDAMMTEN LASSEN KONNTEN ODER WOLLTEN, UND DARUM SCHLOSS GOTT DEN VORHANG, DARUM SCHLOSS ER DIE VERBINDUNG ZWISCHEN DEN BEIDEN REICHEN, UND SO MÜSSEN WIR, ANGESICHTS DIESES ALLZU VERFÜHRERISCHEN FENSTERS, DEN VORHANG ZWISCHEN DEM REICH DER MÄNNER UND DEM REICH DER FRAUEN SCHLIESSEN.
    Man leitete Wasser aus dem Brod in den Keller, und in die Rückwand der Synagoge wurde ein Loch, so groß wie ein Hühnerei, gebohrt, durch das immer nur eine Frau lediglich den Thoraschrein und die Füße der baumelnden Männer sehen konnte, an denen zu allem Übel manchmal auch noch Scheiße klebte.
    Durch dieses Loch sahen die Frauen des Schtetls - eine nach der anderen - meine Ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter. Viele waren -vielleicht weil das Neugeborene so erwachsen wirkende Gesichtszüge hatte - überzeugt, dass dieses Kind böse war und das Zeichen des Teufels trug. Wahrscheinlicher ist aber, dass ihre gemischten Gefühle von dem Loch selbst hervorgerufen wurden. Aus dieser Entfernung - die Handflächen gegen die Wand, das Auge an ein fehlendes Ei gepresst - konnten sie ihre mütterlichen Gefühle nicht entwickeln. Das Loch war so klein, dass sie nicht einmal das ganze Baby sehen konnten, und so mussten sie eine mentale Collage aus ihren verschiedenen Eindrücken zusammenstellen: die Finger einer Hand am Ende eines Arms, der wiederum an einer Schulter saß... Sie begannen, das kleine Mädchen für seine Unerkennbarkeit zu hassen, für seine Unerreichbarkeit, für die Tatsache, dass es aus so vielen verschiedenen Teilen bestand.
    Am siebten Tag bezahlte der Hochgeachtete Rabbi vier Hühnerviertel und eine Hand voll blauer Katzenaugenmurmeln für eine Anzeige, die in Simon T.s Wochenblatt erschien und in der stand, im Schtetl sei, man wisse nicht genau, warum, ein Baby erschienen, und es sei sehr schön und gutartig und keineswegs übel riechend, und er, der Hochgeachtete Rabbi, habe aus Sorge um das Kind und sich selbst beschlossen, es einem rechtschaffenen Mann zu übergeben, der willens sei, es an Tochters statt anzunehmen.
    Am nächsten Morgen fand er unter der Eingangstür der Aufrechten Synagoge zweiundfünfzig Zettel, aufgefächert wie der gespreizte Schwanz eines Pfaus.
    Von Peschel S., dem Hersteller von allerlei Nippes aus Kupferdraht, der erst vor zwei Monaten seine Frau im Pogrom der Zerrissenen Kleider verloren hatte: Wenn
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