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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet
Autoren: Jonathan Safran Foer
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sie nicht so viel nerve, wie ich es mir wünsche? Aber ich tue diese Dinge nicht, weil wir eine Familie sind. Ich tue sie, weil sie normaler Anstand sind. Das ist ein Ausdruck, den mir der Held beigebracht hat. Ich tue sie, weil ich kein Scheißarschloch bin. Das ist noch ein Ausdruck, den mir der Held beigebracht hat.
    Vater schuftet für ein Reisebüro, das Heritage Touring getauft ist. Es ist für Juden wie den Helden, die danach sehnen, das erhebende Land Amerika zu verlassen und bescheidene Dörfer in Polen und der Ukraine zu besuchen. Vaters Reisebüro beschafft einen Übersetzer, einen Führer und einen Fahrer für die Juden, die versuchen, die Plätze auszugraben, wo ihre Familien früher gelebt haben. Okay, bis zu dieser Reise hatte ich nie einen Juden kennen gelernt. Aber das war ihr Fehler, nicht meiner, denn ich war immer bereit - man könnte sogar schreiben: ich glühte darauf - , einen kennen zu lernen. Ich will auch diesmal wahrheitlich sein und erwähnen, dass ich vor der Reise vorgestellt hatte, dass Juden Scheiße zwischen den Ohren haben. Das liegt daran, dass ich von Juden nur wusste, dass sie Vater viel Geld dafür bezahlen, um im Urlaub von Amerika in die Ukraine zu fahren. Aber dann habe ich Jonathan Safran Foer kennen gelernt, und ich kann Ihnen sagen: Er hat keine Scheiße zwischen den Ohren. Er ist ein genialer Jude.
    Genauso wie der Tollpatsch, den ich nie Tollpatsch, sondern immer Klein-Igor nenne. Er ist ein erstklassiger Junge. Für mich ist jetzt klar, dass er ein sehr starker und potenter Mann werden und sein Gehirn viele Muskeln haben wird. Weil er ein so stiller Junge ist, sprechen wir nicht mit großer Lautstärke, aber ich bin sicher, dass wir Freunde sind, und ich glaube, dass ich keine Nicht-Wahrheiten verbreite, wenn ich schreibe, dass wir die allergrößten Freunde sind. Ich habe Klein-Igor beigebracht, ein Mann von dieser Welt zu sein. Zum Beispiel habe ich ihm drei Tage vorher ein schmutziges Magazin gezeigt, damit er die vielen Positionen ansehen kann, in denen ich verkehre. »Das ist neunundsechzig«, sagte ich zu ihm und hielt ihm das Heft vor die Augen. Ich zeigte mit den Fingern - mit zwei Fingern -auf das Geschehen, damit er es nicht übersah. »Warum nennt man es neunundsechzig?«, fragte er, denn er ist ein Mensch, der auf Neugier brennt. »Weil es 1969 erfunden worden ist. Mein Freund Gregorij kennt einen Freund vom Neffen des Erfinders.« »Und was haben die Leute vor 1969 gemacht?« »Sie haben nur geblasen und die Zauberdose ausgeleckt, aber nie im Chor.« Wenn es nach mir geht, wird er ein VIP werden.
    Hier beginnt die Geschichte.
    Aber zuerst muss ich meine gute Erscheinung vortragen. Ich bin hundertprozentig groß. Ich kenne keine Frauen, die größer sind als ich. Die Frauen, die ich kenne, die größer sind als ich, sind Lesben, für die 1969 ein sehr tragweites Jahr war. Ich habe gut aussehendes Haar, das in der Mitte durchgeteilt ist. Das liegt daran, dass Mutter es an der Seite durchgeteilt hat, als ich ein Junge war, und um sie zu nerven, habe ich es in der Mitte durchgeteilt. »Alexi-nerv-mich-nicht«, sagte sie, »wenn du dein Haar so durchteilst, siehst du aus wie einer, der geistig nicht in der Mitte ist.« Ich weiß, dass sie das nicht so gemeint hat. Mutter äußert sehr oft Dinge, von denen ich weiß, dass sie es nicht so meint. Ich habe ein aristokratisches Lächeln und verteile gern kleine Faustschläge. Mein Bauch ist sehr stark, auch wenn er im Augenblick zu wenig Muskeln hat. Vater ist dick, und Mutter auch. Das beunruhigt mich nicht, weil mein Bauch sehr stark ist, auch wenn es so aussieht, als ob er sehr dick ist. Ich werde noch meine Augen beschreiben und dann mit der Geschichte beginnen. Meine Augen sind blau und leuchtend. Jetzt beginne ich mit der Geschichte.
    Vater bekam einen Telefonanruf von dem amerikanischen Büro von Heritage Touring. Sie wollten einen Fahrer, Führer und Übersetzer für einen jungen Mann, der bei Anbruch Juli in Lutsk sein würde. Das war eine mühselige Bitte, denn bei Anbruch Juli feiert die Ukraine den ersten Geburtstag ihrer ultramodernen Verfassung, weswegen wir sehr vaterländische Gefühle haben, und darum würden viele weit weg in Urlaub fahren. Es war eine unmögliche Situation, wie 1984, bei den Olympischen Spielen. Aber Vater ist ein übereindruckender Mann, der immer kriegt, was er sehnt. »Schapka«, sagte er am Telefon zu mir, als ich gerade zu Hause vor dem Fernseher saß und mir eine Sendung über
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