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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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läutete eine Zeitenwende ein.
    Zwei, drei Jahre später rief Gregor bei mir an. Er hatte meinen Namen im Internet gefunden und wollte erzählen, was er so macht. Nach seinen beiden Prädikatsexamen war er in die Hauptstadt gezogen und arbeitete bei Whoever & Whoever Incorporated.
    »Wie schön!«, rief ich und freute mich ehrlich für ihn, »wie geht’s dem Porsche?«
    »Weiß nicht«, sagte Gregor langsam, »plötzlich wollte ich doch keinen haben.«
    Außerdem überlegte er, zum Jahresende zu kündigen. Und schwieg. Auch mir fiel nichts mehr ein. Als ich das Gespräch beendete, klang mir etwas in den Ohren. Es war das Echo eines langen Gelächters.
    Kaum lag der Hörer auf der Gabel, nahm ich ihn wieder ab und begann eine Bestandsaufnahme. Ich rief Freunde an und deren Freunde, Bekannte und deren Bekannte, und stellte ihnen eine Frage: Braucht ihr Geld?
    Die Ähnlichkeit der Antworten war verblüffend: Nö. Ein bisschen. Wenn ich was brauche, geh ich arbeiten. Nur für Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstbestimmtheit. Alles Wichtige ist unkäuflich. Meine Egoprobleme löse ich beim Sport. Verzicht schafft Freiraum. Nur eine Befragte antwortete: Ich habe mir einen hohen Lebensstandard erarbeitet und will ihn behalten. Sie kommt aus Russland.
    »Freunde«, rief ich in die unendlichen Weiten des Telephonnetzes, »wir befinden uns in einer Wirtschaftsrezession. Wie wäre es, wenn ihr euch zusammenreißt, jede Menge Geld verdient und es wieder unter die Leute bringt?«
    Keine Antwort. Jemand gähnte, ein anderer lachte.
    »Herzchen«, fragte Nina, »fährst du eigentlich immer noch diesen schicken, sechzehn Jahre alten VW Polo?«
    Wieso, das ist ein super Auto, 250000 km gelaufen und noch über ein Jahr TÜV.
    Nach zwanzig Anrufen und einem Blick in den Spiegel wusste ich Bescheid. Wir sparen nicht, wir geben bloß kein Geld aus. Kreditkarten-Gregor ist die Galionsfigur einer sinkenden Handelsflotte. Die Besatzung hat sich ein Floß gebaut und treibt zu den Blockhütten an den Ufern einer Inselgruppe.
    Was man weder mit autoritärer noch mit antiautoritärer Erziehung vermitteln kann, ist Existenzangst. Nach den Ergebnissen der Shell-Studie vom August diesen Jahres schaut die junge Generation trotz Börsenkrach, Pleitewelle, Massenarbeitslosigkeit und Terror optimistischer denn je in die Zukunft. Jeder in seine eigene, versteht sich. Nach wie vor fehlt es am ideellen Überbau – der wohlvertraute Werteverlust bleibt unausgebügelt. Trotzdem wäre der übliche Schluss auf frei flottierenden Egoismus und ich-bezogenes Meistbegünstigungsprinzip voreilig. Soziales Engagement ist den Befragten wichtig, viel wichtiger als politisches. Überschüssiges Geld würden sie lieber an eine private Hilfsorganisation abtreten als ans Finanzamt. Als »Gewinner« bezeichnet die Studie das Lager der »pragmatischen Idealisten«, während die »robusten Materialisten« auf der Verliererseite stehen. Nicht umgekehrt? Nein, so rum. Freundschaften, Liebe, Unabhängigkeit und Freizeit stehen als Ein-Mann-Werte hoch im Kurs. Und kosten nichts. Die junge Generation, als Vorbote einer künftigen Gesellschaft gern mikroskopiert, wendet sich entgegen der Prognosen nicht einem immer oberflächlicheren, konsumorientierten und sinnentleerten Dasein zu.
    Das müsste all jene freuen, die in der Konsumversessenheit den ewig bevorstehenden Untergang des Abendlandes heraufdämmern sahen. Weniger froh wird sein, wer Konsum als notwendige Voraussetzung der Marktwirtschaft begreift. Das Nachkriegsmotto »Wer essen will, muss auch arbeiten« hat schon seit längerem an Durchschlagkraft verloren. Nun gerät auch ein zweites, ungeschriebenes Gesetz in Vergessenheit: Wer arbeiten will, muss auch essen. Und zwar etwas Teures. Oder anders: Ohne Konsumenten keine Investoren und keine Jobs.
    Wie immer, wenn ich nicht weiterweiß, rufe ich meinen Freund F. an.
    »F.«, sage ich, »seit ich dich kenne, schläfst du auf einer alten Matratze. Deine Kleider hängen auf einem fahrbaren Gestell, das Geschirr stapelst du auf der Fensterbank. Warum kaufst du nicht Bett, Schrank und Küchenregal?«
    »Was!«, ruft F. entsetzt. »Modernität ist Mobilität, heutzutage braucht man Luftwurzeln. Eigentum verpflichtet, und zwar zum Möbelschleppen beim nächsten Umzug.«
    Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Wer viel verdient, kann sich ein Umzugsunternehmen leisten.
    »Stimmt«, gibt F. zu. »Aber große Summen für nichts auszugeben, hat etwas Unappetitliches.«
    Deshalb

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