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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen
Autoren: Juli Zeh
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trinkt F. auch keinen Cappuccino bei Mitropa. Nicht aus Geldmangel. Sondern aus Prinzip.
    »Geldausgeben«, sage ich, »war mal ein nettes Hobby. Ist es dermaßen in Verruf geraten, bloß weil ein paar Konsumextremisten es eine Weile übertrieben haben? Stellen wir jetzt eine neue Kollektion auf dem Laufsteg der Weltanschauungen vor: die Neo-Askese? Was ist mit dem Prinzip Gregor passiert?«
    Wer viel fragt, wird von F. mit einer Theorie bestraft. Es ist ganz einfach: Unsere Gesellschaft fällt sukzessive vom Glauben ab. Der Tod Gottes liegt lang zurück, auch die Trauerzeit ist vorbei. Der sogenannten Politikverdrossenheit sehen wir mit schreckgeweiteten Augen entgegen, während sie längst eingetreten ist und uns schon überholt hat. Die Abkehr vom Wirtschaftlichen ist die letzte Stufe eines logischen Dreischritts: Nach der Emeritierung von Religion und Politik verlieren nun die Götzen des Kapitalismus an sinnstiftender Kraft. Wir glauben nicht mehr, dass Mars mobil macht, Edeka besser als ALDI ist und in tollen Autos tolle Typen sitzen. Abgesehen von global organisierter Globalisierungsgegnerschaft gibt es eine stille, private und gerade deshalb ernst zu nehmende Verweigerung. Sie speist sich aus der Erkenntnis, dass, wer kein Geld verbraucht, auch keines verdienen muss. Irgendwann muss schließlich zu Ende geführt werden, was die Aufklärung angezettelt hat. Sich mit Ersatzsystemen durchschlagen – das kann jeder.
    Fliegen wir also demnächst aus dem letzten transzendentalen Obdachlosenheim? Wenn ja, werden wir vielleicht feststellen, dass das Wetter draußen wärmer und trockener ist als befürchtet. Im Grunde sind wir dabei, Uneigentliches durch das Eigentliche zu ersetzen. Genau wie Religion und Politik dient der Wirtschaftskreislauf den sich gegenseitig bedingenden Essentialien menschlichen Zusammenlebens: Regulierung und Kommunikation. Durch das Verdienen und Ausgeben von Geld drückt der Einzelne seine Anerkennung oder Ablehnung bestimmter Produkte, Ideen und Entwicklungen aus und erfährt umgekehrt Wertschätzung oder Ablehnung seiner Person. Seit technische Mittel den Gedankenaustausch eines jeden mit jedem zu ermöglichen beginnen, wird Geld als Medium der Wertschätzung überflüssig. Inzwischen widmen Menschen Stunden um Stunden dem Erstellen einer Homepage oder dem Programmieren einer neuen Software, nicht um daran zu verdienen, sondern um zu hören, dass ihre Arbeit gut war und anderen weitergeholfen hat. Und bei ebay ist der beste Verkäufer nicht der mit den teuersten Produkten, sondern jener mit den meisten positiven Bewertungen.
    »Stop«, unterbreche ich F., »erzähl mir nichts von der Einleitung des Postkapitalismus durch Internetkommunikation. Daran glaube ich, wenn die erste open-source- Bäckerei in meiner Nachbarschaft eröffnet hat.«
    »Darum geht’s nicht«, sagt F. »Die Kommunikationstechnologie ermöglicht es, ein grundlegendes menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Wenn dieses Bedürfnis nicht mehr über ökonomisches Verhalten vermittelt werden muss, verliert der Konsum seine Kompensationsfunktion und die Wirtschaft damit eine Triebfeder.«
    »F.«, sage ich, »willst du mir erklären, dass du keinen Kleiderschrank besitzt, weil du E-Mails schreiben kannst?«
    Sobald meine Telephonrechnung die Mietzahlungen übersteige, werde ich ihn verstehen, sagt F. und legt auf.
    Wer oder was auch immer dabei ist, das Prinzip Gregor zu verabschieden – die endgültige Suspendierung hätte jedenfalls ein Gutes. Arbeitszeitverkürzungen als Job-Sharing-Maßnahme werden wir mit Freude entgegennehmen. Der bevorstehenden Senkung des Lebensstandards erwidern wir achselzuckend: Schon geschehen. Wir warten auf Nachricht, ob Gregor tatsächlich zum Jahresende bei Whoever & Whoever Incorporated kündigt. Danach werden wir uns Abend für Abend mit einem Lächeln auf den Lippen und einem recycelten Teebeutel in der Tasse auf unsere Strohmatten legen.
    2002

Der Kreis der Quadratur
    M üsste ich die Kapitalismusdebatte zeichnen, würde ich zunächst ein Quadrat malen und senkrecht in zwei Hälften teilen. Auf die eine Seite schriebe ich ein »L« für das linke, auf die andere ein »R« für das rechte politische Lager. Dann zöge ich mit geschlossenen Augen einen Zickzackstrich quer hindurch, die Buchstaben zerschneidend. Der Strich würde nicht einmal von Ecke zu Ecke reichen. Das wäre sie dann, die Kapitalismuskritik.
    Nicht sein Inhalt macht den Kapitalismusstreit interessant, sondern vor allem
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