Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allem, was gestorben war

Allem, was gestorben war

Titel: Allem, was gestorben war
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
Verhältnisse von Paaren, die ohne Trauschein zusammenlebten, hinzurechnete, gehörte er zu einem der 50000 Paare, die es nicht schafften, in einem traditionellen Verhältnis zu leben.
    Das ergab 70000 einsame Menschen, vielleicht. Er gehörte zu einer neuen Art Gemeinschaft der Einsamen, er hatte, genau wie die anderen, merkwürdigerweise seine einzige Gemeinschaft aufgegeben und sich für ein isoliertes Dasein entschieden.
    Elisabeth lebte nicht allein. Sie hatte den neuen Mann wegen der Kinder heraufgeschickt, war unten im Auto sitzen geblieben. Dem Mann war die Situation peinlich gewesen, und Jonathan Wide hatte einen ersten Impuls unterdrückt, seine Faust in das Zwerchfell des Mannes zu rammen. Als es still geworden war, als das Auto abgefahren war, hatte er unmittelbar einem zweiten Impuls nachgegeben und den Schnaps geholt.
    Die kleinen alltäglichen Ereignisse vermisste er am meisten. Die Termine. Die Pflichten. Die Verantwortung. Das, was er früher Fron genannt hatte, was er jetzt nicht mehr nachvollziehen konnte.
    Die kleinen Gespräche.
    »Du weißt, dass ich es nicht schaffe.«
    »Aber wenn ich es auch nicht schaffe? Ich hab schließlich auch einen Job.«
    »Hast du gefragt?«
    »Keine Minute länger. Und in der Kindertagesstätte haben sie gesagt, dass sie keine Kindernachtstätte sind.«
    »Und Lena?«
    »Bald werden sie sich vermutlich fragen, ob die Kinder kein Zuhause haben. Vielleicht sollten sie gleich ganz dort hinziehen?«
    »Elisabeth .«
    »Du musst morgen zu Hause bleiben. Ich habe eine wichtige Besprechung, ich kann wirklich nicht.«
    Aber da war auch noch anderes. Die Anpassung, alles planen müssen im Großen und im Kleinen. Das meiste war jetzt weg, verloren: Einkaufslisten, platte Reifen an kleinen Fahrrädern, ein kleiner blutender Finger. Und, manchmal, jemand, der am Ende des Tages oder zu Beginn der Nacht nach all den anstrengenden Stunden zuhörte. Überraschende Liebesakte, Liebe, die nicht stunden- oder tagelang vorbereitet worden war. Einfach nur zu nehmen.
    Es war eine Art Geborgenheit gewesen, Wide verstand es jetzt erst voll und ganz. Vielleicht war er gar zu geborgen gewesen und möglicherweise gar zu blind, um zu begreifen, dass ständiger Einsatz nötig war.
    Als er in diese Einsamkeit gezogen war, hatte er aus reiner Sentimentalität Dylans alte Nashville Skyline vorgesucht. Seit zwanzig Jahren hatte er sie nicht mehr aufgelegt und voller Bitterkeit I must have been mad I never knew what I had, until I threw it all away gehört.
    Heute Nacht hatte er sich wieder mal Leid getan und Puccini aufgelegt, und es war ihm vorgekommen, als hätte Jose Carreras so geklungen, als hätte Puccini Mitleid mit ihm gehabt. Irischer Whiskey hatte gut zur Oper gepasst. Er hatte es etwas merkwürdig gefunden, wie so viele andere Dinge im Leben. Vielleicht waren sie selbstverständlich. Mehrere Monate lang hatte er in einsamen Nächten Madame Butterfly gespielt. Eine Oper war die richtige Musik für einen gequälten Kopf ... er konnte sich von der Musik umarmen lassen. Blues auf Italienisch. Er hatte weiterhin grimmig Carmen McRae gespielt. Und Bellman: Blues auf Schwedisch.
    Die Sonne kam durch die halb geöffnete Jalousie und die Küche war voll gestreiftem Licht, was ihm das Gefühl gab, in einem Gefängnis zu sein. Er neigte sich ein wenig zur Seite, um dem Licht auszuweichen, das ihm in die Augen stach, aber es arbeitete sich wie ein Laserstrahl in seinen Kopf, und er spürte einen intensiven Schmerz direkt hinterm linken Auge.
    Er trank eine Tasse Kaffee und versuchte eine Scheibe Knäckebrot zu essen, die drei Tage lang in einem kleinen geflochtenen Korb auf dem Tisch gelegen hatte und weich geworden war. Er wusste, dass es ihm im späteren Verlauf des Tages viel schlechter gehen würde.
    Jonathan Wide zog den Morgenmantel aus und hängte ihn über einen Küchenstuhl. Er ging ins Bad, regelte die Wärme des Duschwassers und stellte sich unter den Strahl.
    Hinterher rasierte er sich und putzte seine Zähne. Er beugte sich über das Waschbecken und schaute in das Gesicht gegenüber, das mit jedem Mal fremder wurde: die Augen, die nie richtig klar waren, das feinmaschige Netz von Fältchen um die Augen, die verrieten, dass er ein Mann war, der bald den Gipfel erreicht hatte und sich auf die weite Reise bergab zu der unausweichlichen Begegnung mit dem Großen Barkeeper machen würde. So hatte jemand einmal Gott genannt, und er hatte gelacht, aber jetzt fand er das überhaupt nicht mehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher