Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allem, was gestorben war

Allem, was gestorben war

Titel: Allem, was gestorben war
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
saß er so.
    Es ist schwer, zwei Stunden lang in exakt derselben Haltung dazusitzen. Aber der Mann wurde von der fünfundzwanzig Zentimeter langen Messerschneide gehalten, die geradewegs von hinten durch seinen Körper gestoßen und mit dem Schaft an der Banklehne hinter seinem Rücken fixiert worden war. Die Messerspitze, vier Zentimeter rechts von der linken Brustwarze entfernt, sah wie ein kleines Muttermal heraus. Das Blut war von dem hellgrünen Hemd und vom Jackett absorbiert worden und wurde vom Schlips verborgen. Es war diskret am rechten Bein des Mannes heruntergelaufen, hatte sich zu einer nierenförmigen Pfütze gesammelt und war weiter in den Graben hinter der Bank geflossen.
    Alles war sehr ordentlich, und dem Mann hätte die Szene gefallen, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, sie zu studieren. Er war ein ordentlicher Mann gewesen.
    In der Zeit, während der Tote hier gesessen hatte, waren zwei Jogger vorbeigekommen. Sie befanden sich gewissermaßen in einem bewusstlosen Zustand. Sie hatten schon rote Nebel vor den Augen und sahen das Blut nicht, keiner rutschte in der Pfütze aus.
    Wenn der Mann noch hätte sehen können, wäre die »Stena Jutlandica« in sein Blickfeld gerückt, die soeben breitbrüstig unter der Brücke auf dem Weg nach Fredrikshavn hindurchfuhr. Es war acht Uhr, der Juni war jung und es war Donnerstag. Achtern standen Passagiere an der Reling des Sonnendecks aufgereiht, von hier unten sahen sie aus wie schwarze Krähen. In dem Augenblick, als die Fähre unter der Brücke hindurchglitt, duckten sich einige und lachten dann verlegen über den optischen Streich, der ihnen gespielt worden war. Der Wind fing das Lachen auf und trug es zu dem Mann hinunter, der weder hören noch sehen konnte.
    Die Passagiere hätten eine Person auf einer Bank nahe bei einem rot angestrichenen Stein sehen können, dem so genannten Roten Stein; den Göteborgern und Seefahrern seit Jahren wohl bekannt. Manchmal wurde er über Nacht grün oder blau oder sogar schwarz gestrichen, aber innerhalb weniger Tage waren die Männer der Stadtverwaltung da und strichen den Stein wieder rot, der Farbe, die an das Blut erinnern sollte, das durch die Körper jener Seemänner geflossen war, die hier vorbeigesegelt, hinaus aufs Meer, aber nie mehr zurückgekehrt waren.
    Die Passagiere auf der »Stena Jutlandica« konnten allerdings nicht die naturrote Farbe daneben sehen, unter der Bank. Nicht einmal ein Habicht würde sie erspähen können.
    Gleichzeitig mit der Fähre glitt der Sommertag nach Göteborg hinein - die Begegnung fand kurz vor der Brücke statt. Der Sommer war unmittelbar und intensiv ähnlich einer Gasflamme mit ewiger Nahrung. Die Wärmegrade schossen hoch bis zur 35-Grad-Marke, kaum dass die Sonne am frühen, stillen Morgen ihr frisch gewaschenes, scharfes Licht auf Zeitungsboten, Bäcker, Fischer, Krankenpfleger, Taxifahrer, Penner, berufsmäßige Vagabunden, Säufer und andere Süchtige warf, die ihre Suchtmittel lebensgefährlich miteinander vermischten.
    Eine junge Frau übergab sich heftig in einem Eingang in einer der nördlichen Stadtteile, gestützt von einem fast genauso jungen Taxifahrer, der sich fragte, was zum Teufel er hier machte - eine Frage, die er sich schon viele Male gestellt hatte, die sofort einen Gedanken, ein Bild nach sich zog, in dem er sich selbst im Atelier sah inmitten all der Kunst, von der er nicht leben konnte. Vom Taxijob konnte er auch nicht leben, aber er konnte wenigstens dafür sorgen, dass er keine Kotze im Auto hatte.
    Er konnte auch ein Mitmensch sein.
    »Kommen Sie jetzt zurecht?«
    Sie versuchte zu antworten, löste damit aber nur einen erneuten Brechreiz aus, und sie übergab sich noch einmal, jetzt kam nur noch Flüssigkeit. Sie lehnte sich gegen die Tür und sah den Taxifahrer mit tränenden Augen an. Der Blick war trübe und grau, als ob sie stundenlang mit weit offenen Augen auf einer Motorhaube durch die Gegend gefahren wäre. Ihr Haar war so nass vom Schweiß, dass er nicht erkennen konnte, was für eine Farbe es hatte. Sie trug ein dünnes rotes Kleid, das teuer wirkte. Einen ihrer Schuhe hatte sie verloren. Lag er noch im Auto? Er musste später nachsehen, wenn er sie ins Haus verfrachtet hatte.
    »Ich ... ich weiß nicht, wo ... welches Haus ...«
    Er seufzte. Das war ungefähr das Letzte, was er für diese letzte Tour brauchte. Sie schien ganz in Ordnung gewesen zu sein, als er sie am Redbergsplatsen aufgelesen hatte, ein bisschen unkoordiniert in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher