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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Gary Paulsen
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Treibholz gab es genug hier am See. Überall am Ufer und auch am Waldsaum hinter dem Hügel lagen geknickte Bäume umher, wirr von der Macht des Tornados durcheinandergeworfen. Es konnte nicht schwer sein, vier Balken von passender Länge auszuwählen. Aber die Verbindung war das Problem. Ohne Schnur, ohne Querlatten und Nägel würden die Stämme im Wasser rollen und auseinandertreiben.
    Brian versuchte sie zu verkeilen, legte sie über Kreuz – aber es klappte einfach nicht. Alle Mühe war vergeblich und Brian stampfte wütend mit dem Fuß auf – eine Gewohnheit von früher, als er ein anderer Mensch gewesen war.
    Am Ende setzte er sich an den Strand, um noch einmal nachzudenken. Bleib ruhig, befahl er sich, gebrauche deinen Verstand. Nur mit kühlem Verstand kann man Probleme lösen.
    Dann kam ihm die rettende Idee. Die Balken, die Brian ausgesucht hatte, waren glatt und rund und hatten keine Äste. Was er aber brauchte, waren trockene Fichtenstämme – mit Ästen. Die langen elastischen Zweige konnte man miteinander verflechten, wie er es mit der Wand seiner Schutzhütte schon gemacht hatte.
    Rasch waren vier dürre, vom Sturm geknickte Baumkronen gefunden. Brian schleppte sie ans Wasser und begann sie miteinander zu verflechten.
    Es dauerte fast den ganzen Tag. Denn die Äste standen zu dicht und bildeten ein sperriges Gestrüpp zwischen den Stämmen. Aber nachdem Brian die überzähligen Äste abgehauen hatte, ließen die übrigen sich – immer von einem Stamm über den nächsten zum übernächsten – fest miteinander verweben.
    Am Nachmittag war das Floß endlich fertig. Brian taufte es auf den Namen »Struppi Eins« – weil es immer noch aussah wie ein Haufen wirres Gestrüpp.
    Aber zu Wasser gebracht schwamm das Floß ganz gut, auch wenn die Baumstämme tief einsanken. Stehen konnte Brian nicht darauf, also musste er nebenher schwimmen und es zum Flugzeug schieben.
    Das Wasser reichte ihm schon bis zur Brust, als ihm klar wurde, dass er keine Möglichkeit hatte, das Floß am Flugzeug festzubinden. Es musste irgendwie fest verankert sein, damit er dort arbeiten konnte.
    Brian war niedergeschlagen. Er hatte kein Seil! Er hatte nur die Bogensehne und den anderen, entzweigeschnittenen Schnürsenkel in seinen Joggingschuhen, mit denen kein Staat mehr zu machen war: Seine Zehen schauten schon an den Spitzen heraus.
    Dann aber fiel ihm sein alter Anorak ein. Den abgetrennten Ärmel, den er als Köcher für seine Pfeile verwendet hatte, riss er in schmale Streifen, die er verknoten konnte, so dass ein Tau von anderthalb Metern Länge entstand. Es war kein sehr festes Tau, er hätte sich nicht wie Tarzan daran von Baum zu Baum schwingen können; doch es würde stark genug sein, das Floß am Flugzeug festzubinden.
    Wieder stieß er das Floß vom Ufer und watete ins Wasser hinaus, bis es ihm an die Brust reichte. Die Joggingschuhe hatte er in der Hütte zurückgelassen, und als er jetzt fühlte, dass der Sandboden in tiefen Schlick überging, holte er noch einmal Luft und stieß sich ab.
    Dieses Floß schwimmend vor sich herzuschieben, das war beinahe so, als wollte man einen Flugzeugträger mit bloßen Händen anschieben. All die Zweige, die nach unten ins Wasser ragten, hemmten die Fahrt und die Baumstämme selbst dümpelten träge im See. Brian war noch keine fünf Meter vorangekommen, als ihm klar wurde, dass es viel mühseliger war, als er dachte, das Floß auf diese Weise zum Flugzeug zu schaffen. Es bewegte sich kaum von der Stelle, und wenn er so weitermachte, würde er das Wrack nicht vor dem Abend erreichen.
    Also beschloss er, noch einmal umzukehren und die Nacht an Land zu verbringen. Am anderen Morgen wollte er es wieder versuchen.
    Wohl hatte Brian Selbstbeherrschung gelernt, aber die Ungeduld nagte noch immer an ihm. Darum setzte er sich mit seinem neuen Speer an den Rand des Fischbeckens und fing noch einmal drei Fische, die er am Feuer briet und aß. Dies vertrieb ihm die Zeit bis zum Dunkelwerden. Auch schleppte er neues Brennholz heran, denn das Feuer war ein hungriger Freund. Dann aber saß er vor seiner Hütte und beobachtete, wie die Sonne hinter den Bäumen der Hügelkette versank.
    Im Westen, dachte er. Ich sehe die Sonne im Westen versinken. Norden, wo sein Vater lebte und arbeitete, war folglich dort oben. Dort drüben musste Osten sein und hinter ihm Süden. Irgendwo im Südosten lebte seine Mutter. Die Nachricht von einem verschollenen Flugzeug – von Brians Verschwinden – musste im
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