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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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am Brenner das Lob des Chianti angestimmt
hatten, sehnten sich nach dem heimischen Bier und schworen, die nächste
Wallfahrt wieder nach Andechs zu machen, weil das billiger und gesünder sei.
Sulamith entrüstete sich nachträglich über die frechen Blicke florentinischer
Burschen und tröstete sich erst, als ihre Mutter erklärte, gescheite Mädchen
fielen in Italien immer auf.

    Während so jung und alt, Männlein und Weiblein in
Trübsinn schwelgte und sich dem Jammern ergab, trollten sich die dunklen Wolken
wie vollgefressene Wölfe in die Apenninen zurück und gönnten der Abendsonne
noch eine späte Herrschaft über Florenz. Die Stadt der Musen und der Genien
sollte nicht als Stadt der geborgten Regenschirme und beschmutzten Hosen den
Pilgern im Gedächtnis bleiben.
    Schwester Annaberta bemerkte diesen himmlischen
Umschwung zuerst. »Es war also doch nicht umsonst«, murmelte sie halblaut vor
sich hin. Ihre Nachbarin, Baronin Neuhaus, glaubte, sie meine das Schimpfen. O
Weltkind!
    Die Sonnenstrahlen weckten wie ein Zauberstab den
Unternehmungsgeist der Pilger. Das offizielle Programm war abgeleistet; jeder
konnte auf eigene Faust sein Glück ansteuern. Die Baronin, kurz entschlossen,
wie sie es liebte, lud die Schwester zu einem kleinen Bummel ein. Ihrem Mann
befahl sie, sich anzuschließen und nicht etwa mit einer der jüngeren Damen
auszugehen. Er gehorchte. Florenz funkelte golden. Wie Edelsteine leuchteten
die Regentropfen an den Zweigen, wie Silberplatten glänzten die nassen Dächer
der Stadt.
    »Gehen wir auf den Piazzale Michelangelo. Von dort
genießt man den schönsten Blick über die Stadt«, sagte Baronin Neuhaus und
marschierte voran. Wahrhaftig, sie hatte recht. Entzückt sah die Schwester auf
die Stadt zu ihren Füßen, hinüber zu den Bergen, in den schimmernden Westen.
Der verarmte Adelige stellte sich auf die Zehen vor Begeisterung: »Sehen Sie
doch, Schwester, genießen Sie es, lassen Sie es sich erhaben durchs Gemüte
wehen: diese majestätische Stadt! Kaisern und Königen wagte sie zu trotzen,
Weltreichen lieh sie Geld auf Zinsen, Künstler leuchteten wie Sonnenblumen im
Garten ihrer Talente! Setzen ihr die vielen stolzen Türme, vorab die Kuppel des
Brunelleschi, nicht geradezu heroische Akzente auf? Oh, empfänden Sie wie ich
den Genius dieser Stadt, der Wiege der Renaissance, des Mutterschoßes der
Neuzeit! Und sehen Sie, dort oben grüßt Fiesole — der Name schon ist Musik! Das
ist Kultur, geprägte Landschaft, geformte Kraft, gebändigte Schönheit! Noch die
kümmerlichste Zypresse, die verlassenste Gartenmauer verrät Adel!« Der gute
Baron hätte wohl noch lange  (übrigens zur Freude unserer Schwester) derart
weitergeschwärmt, hätte ihm nicht die Baronin in das Rad seiner Poesie den
Knüppel ihrer Prosa geworfen: »Und womit verrätst du deinen Adel? Indem du die
falschen Socken anziehst. Die mausgrauen passen nicht zum braunen Jackett! Wie
oft ich dir das sagen muß!«

    Nun stieg man ziemlich rasch von der Höhe hinab,
überquerte den Arno und begab sich in das Herz der Stadt. Ganz Florenz war auf
den Beinen, den milden Abend zu genießen. Schwester Annaberta hielt sich treu
an den Baron, als wolle sie ihm zu verstehen geben, seine begeisterten Worte
seien bei ihr auf nicht so steinigen Acker gefallen wie bei seiner Frau. Wo war
übrigens seine Frau?
    »Sie bewundert sicher die Schaufenster. Das ist
ihre Leidenschaft, seitdem wir kein Geld mehr haben.«
    »Oh, ich tue das auch recht gern. Es freut mich
jedesmal, soviel zu sehen, was ich nicht brauche. Dann komme ich mir wie ein
König vor«, sagte Annaberta.
    »Eigentlich müßten wir auf sie warten. Doch da
kämen wir nie vom Fleck. Und wir wollen doch ein bißchen die Abendluft
genießen, nicht wahr?«
    »Ob Ihre Frau auch wieder ins Quartier
zurückfindet?«
    »Sicherer als wir. Sie kann ein paar Brocken
Italienisch.«
    »Und wir?«
    »Keine Angst, liebe Schwester. Wir suchen den Dom.
Von dort aus finde ich heim.« Der Baron sprach nun durchaus zuversichtlich. Das
Verschwinden seiner Frau hatte sein Selbstgefühl gefördert. Er war wie
ausgewechselt, und so entspann sich zwischen dem seltsamen Paar eine muntere
Plauderei, so munter, daß sie gar nicht bemerkten, wie sie in eine dichte
Volksmenge gerieten. Erst als sich die Leute zu Reihen formierten und zu singen
begannen, stutzte der Baron: »Wohin sind wir geraten?«
    »In eine Prozession«, behauptete Annaberta.
»Sicher zu Ehren Sankt Johanns, des Stadtpatrons. Sonst
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