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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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Zimmer.
    Um einer Erkältung vorzubeugen — nur nicht krank
werden in Rom! legte sich Schwester Annaberta unverzüglich ins Bett. Zu ihrem
Zimmer gehörte ein Balkon. Dort baumelte ihre Ordenstracht, um in der milden
Abendluft zu trocknen. Von der Hotelleitung hatte sie sich ein Bügeleisen
erbeten, um in den frühen Morgenstunden der getrockneten Ordenstracht die
vorschriftsmäßige Haltung beizubringen.
    Die Schulrätin fand es noch viel zu früh zum
Schlafen, rückte den Stuhl an der Schwester Bett und informierte sie über ihre
neuesten Beobachtungen.
    »Wo, glauben Sie, daß die Pfarrjugend steckt? Im
Vergnügungspark! Und der Kaplan immer vornweg! Unerhört, nicht wahr? Wenn sie
wenigstens Sulamith eingeladen hätten! Das Mädchen hat noch gar nichts von der
Reise gehabt. Ich hätte sie natürlich nicht mitgehen lassen. Ich werde
jedenfalls bei meiner Rückkehr dem Erzbischof über das zweifelhafte Verhalten
des Kaplans Schlüter berichten. Unbedingt werde ich das. Und der Primiziant
Süß? Um kein Gran besser, der scheinheilige Patron. Suli hat ihn mit seiner
aufgedonnerten Reisenachbarin im Café Trieste entdeckt.«
    »In der Gelateria Medici, Mama«, korrigierte die
Tochter. »Im Café Trieste saß Herr Birnmoser mit einer Italienerin.«
    »Danke sehr, gut, daß du mich daran erinnerst.
Also stellen Sie sich das vor, Schwester! Das wollen unsere Führer sein! Es muß
in Zukunft für ein pausenloses Programm gesorgt werden, daß dem Laster kein
Atemzug mehr übrigbleibt. Ich habe in der Diözese ziemliche Verbindungen.
Meiner Schwägerin Schwester ist die Nichte der Haushälterin des Domherrn
Windelband. Ich werde meinen Einfluß geltend machen, daß Pilgerfahrten wirklich
Pilgerfahrten werden. Ich wette, kein Zehntel aller Herren und Damen, die heute
in Autobussen und Sonderzügen nach Rom fahren, wären im Mittelalter bereit
gewesen, zu Fuß nach Rom (oder gar nach Lourdes und Fatima!) zu pilgern. Was
meinen Sie, Schwester?«
    »Sie meint gar nichts, Mama«, fiel ihr Suli kalt
ins Wort. »Sie wird bald schnarchen.«
    Frau Schulrätin erhob sich empört. »So, sie
schläft? Fromm mag sie sein — Benehmen hat sie keines.« Sprach’s und verließ,
gefolgt von der Tochter, das Zimmer.
    Doch Annaberta blieb nicht allein. Die Engel Fra
Angelicos, mit goldenem Haar und funkelnden Gewändern, umstanden ihr Bett,
hatten ihre Harfen und Posaunen mitgebracht und bliesen ihr himmlische Weisen
ins Ohr. Vielleicht bliesen sie ein wenig zu heftig; denn als die Schwester
erwachte, war es noch nicht einmal elf Uhr nachts. Doch sie fühlte sich
dermaßen gestärkt, daß sie beschloß, die Ordenstracht, falls sie trocken sein
sollte, schon jetzt zu bügeln. Und sie war fast trocken. Annaberta trug sie ins
Zimmer zurück, stellte das elektrische Bügeleisen an und ließ die Jalousien
herunter; Zaungäste wünschte sie bei ihrem nächtlichen Werke nicht. Einen
halben Rosenkranz lang dauerte es, bis das Eisen heiß genug war. Dann machte
sie sich, Kirchenlieder summend, daran, ihrem Rock die nötigen Falten
einzubügeln.
    Auf einmal zerriß wildes Knattern die Stille der
Nacht. Annaberta erschrak. Waren das Maschinengewehre? Und jetzt Detonationen —
Bomben, kein Zweifel! Und Schreie aus der Ferne. »Ein Drittel Kommunisten.
Jeden Tag kann hier die Revolution ausbrechen« — so hatte sie selber am Abend
zu Baron Neuhaus gesagt. Traf ihre Befürchtung ein? Ergriffen die Kommunisten,
aufs heftigste gereizt durch die gescheiterte Demonstration, die Macht? War das
die Revolution?
    Wieder Knattern, Detonationen, Triumphgeschrei —
wahrscheinlich flogen die Brücken in die Luft, der schöne Ponte Vecchio! Bald
wird der Mob durch die Straßen jagen, werden »Weiber zu Hyänen und treiben mit
Entsetzen Scherz« — ach, hatte es Sinn, sich zu verstecken, oder um Hilfe zu
schreien? Schwester Annaberta, die sich sonst vor keinem wütenden Hunde, keinem
Ortsgruppenleiter und keiner gereizten Wildsau fürchtete, wagte jetzt keinen
mutigen Schritt auf den Balkon oder Korridor hinaus, ja, getraute sich nicht
einmal, die Jalousien hochzuziehen. Im Haus war es verdächtig still. Merkten
denn die Pilger nichts, oder hatten sie sich ängstlich im Keller verkrochen?
Oder waren sie abgereist, Hals über Kopf? Das Knattern und der Lärm kamen immer
näher. Lange wird es nicht mehr dauern, dann haben die Revolutionäre das Hotel
erreicht. Ob sie Ausländer verschonen? Die Laien vielleicht. Sie selbst, den
Monsignore, den Kaplan und den
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