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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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vergaßen sie allen Zoll, alle Ausfuhrbestimmungen,
alle gefährlichen Konsequenzen, klatschten in die Hände, riefen jubelnd: »Sie
schreit! Sie schreit! Die kleine Annaberta schreit!« zogen das Körbchen unter
der Sitzbank hervor und drängten sich heran, den köstlichen Anblick des
aufgesperrten Mäulchens zu genießen. In den Nachbarabteilen wurde es lebendig,
von allen Seiten quoll die gemischte Pfarrjugend herbei, die Burschen
schwenkten ihre Mützen, die Mädchen ihre Kopftücher: »Sie schreit! Sie
schreit!« Einer Hausgehilfin traten die Tränen in die Augen. Dem Monsignore
rutschte die Brille von der Nase, dem Kaplan das Brevier aus der Hand.
    Im ersten Augenblick war der Zollbeamte baff, dann
bemühte er sich um die gehaltsmäßig eingestufte Amtsmiene und fragte scharf in
gebrochenem Deutsch: »Was ist das für ein Kind? In welchem Paß es eingetragen?«
    Doch niemand achtete auf ihn; alles, was ein
fühlendes Herz in der Brust trug, umdrängte das Körbchen, wo die kleine
Annaberta schrie, als wolle sie später Wagnersängerin werden.
    Der Zollbeamte gab die Schlacht noch nicht
verloren. »Das ist ein italienisch Kind!« sagte er.
    Eva wandte sich zu ihm: »Ah, das erkennen Sie an
der Sprache!«

    O Eva, Eva! Hättest du das nur nicht gesagt. Nun
hast du seine Wut und seine Neugier gereizt.
    »Mischen Sie sich nicht ein, Signorina«,
kommandierte er böse.
    »Erlauben Sie, mein Herr«, erwiderte Eva
schneidend und pflanzte sich kerzengerade vor ihm auf, »schließlich gehört das
Kind mir!«
    Ein Sack Totenstille plumpste ins Abteil. Der
Schwester pochte das Herz vor Angst. Eva lächelte. Der Beamte flackerte nervös
mit den Augen. »Pardon, pardon, Signora — aber — aber in Ihrem Paß ich nichts
lesen von Kind. Wo — wo hatten Sie Kind bei Einreise?«
    »Dumme Frage. Da war es noch nicht da!«
    Der Beamte blickte hilflos umher. Doch stieß er
überall nur auf bestätigendes Kopfnicken. »Ja, da war es noch nicht da«,
sekundierte die Baronin ernsthaft, und die gemischte Pfarrjugend stimmte einen
Sprechchor an, daß dem Wächter der Zollvorschriften Hören und Sehen verging:
»Hurra, hurra, hurra! Da war es noch nicht da!«
    »Dann «, der arme Mann errötete, »darf ich gratulieren,
Signora, und entschuldigen Sie bitte!«
    Als er mit einem tiefen Bückling verschwunden war,
stürzte Birnmoser auf Eva zu und schüttelte ihr kräftig die Hand: »Eva, das
hast du großartig gemacht!«
    Die Heldin lächelte nur.
    »Aber um meinetwillen hätten Sie die Wahrheit
nicht zu verschweigen brauchen«, sagte Annaberta.
    »Es war die Wahrheit. Es ist mein Kind, oder
vielmehr: es wird meines sein, wenn es ein paar Jahre älter ist und Adam und
Eva Birnmoser ihm einen Spielgefährten besorgt haben. Dann fahren wir an Ihrem
Waisenhaus vor und holen des Katzenfängers Töchterlein ab!«
    Adam und Eva Birnmoser —
    »Donnerwetter, geht das aber schnell!« entfuhr es
dem Mesner.
    »Ferdinand, dazu haben wir zehn Jahre benötigt!«
seufzte die Baronin.
    »Und da heißt’s immer, wir Bayern wären langsam
von Begriff«, fiel der Simmerl ein.
    »Es liegt halt doch ein besonderer Segen auf der
Pilgerfahrt«, meinte der Monsignore.
    Nur Sulamith teilte die allgemeine Freude nicht,
sie spitzte ihren Mund und zitierte Schiller: »Drum prüfe, wer sich ewig
bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die Reu ist
lang!«
    So, und damit wäre die letzte Überraschung auf der
Reise auch schon berichtet. Je weiter es nach Norden ging, desto lauter krähte
Annaberta junior. Am späten Nachmittag fuhr der Zug in den Münchener
Hauptbahnhof ein. Kurz zuvor hatte die Geistlichkeit — diesmal einmütig — durchs
Mikrophon noch einmal das Tedeum angestimmt und alles hatte begeistert
gesungen: »Großer Gott, wir loben dich!« Dann ging es ans Händeschütteln und
ans Versprechen, sich bald zu schreiben und auch die nächste Wallfahrt,
vielleicht nach Lourdes oder Fatima oder am besten wieder nach Rom, gemeinsam
zu machen. Kaplan Schlüter lud die Birnmosers zur Hochzeitsreise an den Rhein,
der Simmerl die »imperfekte« Pfarrjugend zum Hopfenzupfen nach der Hallertau
ein. Die Baronin ernannte Monsignore Schwiefele zum Seelenführer, Emerenz
Obermair versprach dem Baron, ihre Gedichtsammlung »Ritarosen« bald zu
schicken.
    Als Schwester Annaberta die imposante Gestalt der
Ehrwürdigen Mutter Potenzia in der wartenden Menge am Bahnsteig erblickte,
verspürte sie ein seelisches Seitenstechen und fragte sich bald,
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