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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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wie du
sie nennen?«
    »Annaberta.«
    »Wer heißen Annaberta? Niemand in Trastevere.«
    »Ich heiße Annaberta«, sagte die Schwester
begütigend.
    »O prima, primissima! Dann Bambina ist dein Kind!«
rief er und klatschte in die Hände. »Papst wird geben dir viel Geld, du wirst
machen die Bambina zu schönem Kind! Primissima!«
    »Wo denkst du hin? Ich kann doch nicht — —« sie
hielt inne; >Was kann ich nicht?< fragte sie sich still, >kann ich die
Kleine nicht zu mir nehmen? Macht es denn etwas aus, ob ich zweiundzwanzig oder
dreiundzwanzig Kinder behüten muß?<
    »Was kannst du nicht?« fragte er hartnäckig.
    »Das Kind der Schweizergarde vor die Füße werfen«,
rief sie verzweifelt und schlug die Hände vors Gesicht.
    »So stirbt die Bambina, Bambina Annaberta — «
sagte er langsam, jede Silbe des Namens so laut betonend, daß er der Schwester
wie wuchtige Glockenschläge in den Ohren hallte. Die Hände glitten ihr vom
Gesicht, sie beugte sich über das Kind, steckte ihm einen Taschentuchzipfel,
getränkt mit Milch, zwischen die Lippen und beobachtete, wie die Bambina
saugte, als hole sie den Durst von vier Wochen nach.
    »In Gottes Namen, es sei«, sprach sie leise und
fest wie ein uralter Bischof, dem sein Domkapitel zu resignieren nahelegt, und
zeichnete dem Kind ein Kreuzlein auf die Brust.
    Als die Bambina gesättigt aufstieß, meldete sich
Schwester Annabertens Hunger wieder. Sie fragte Gino, ob er etwas zum Essen für
sie habe. Kaltes Katzenfleisch, lautete seine Antwort. Der Schwester
schauderte. »Sonst nichts?«
    »Kerne von Oliven. Altes Käse. Da — «sagte er und
wies auf eine Blechkiste.
    »Bring mir bitte davon. Ich muß die Bambina
halten.«
    Er reichte ihr eine Handvoll Olivenkerne. Der alte
Käse war an allen Seiten angenagt. Sicher von Ratten. Annaberta schob ihn
angewidert zur Seite.
    »Vielleicht gibst du mir doch lieber ein Stück
Katzenfleisch.«
    Gino grinste triumphierend
    Erstaunlicherweise war das Fleisch gut
durchgekocht; es schmeckte fast wie das Lamm am Ostertag. Nur durfte sie beim
Kauen nicht an ihr liebes Peterle, den schönsten und stolzesten Kater des
Waisenhauses, denken! Doch wie es oft ist: als bestehe eine geheime Verbindung
zwischen den Katzen in Trastevere und den Katzen des Bayerischen Waldes — kaum
hatte sie am zarten Fleisch einigen Geschmack gefunden, miaute draußen im
finsteren Gang ein Kater genauso schmalzig, genauso sehnsuchtsvoll wie Peterle.
Annaberta blieb der Bissen in der Gurgel stecken. Gino pfiff
unternehmungslustig durch die Zähne, packte seinen Dolch und verschwand im
Gang.
    »Bleib da, Gino! Laß die Katze leben!« bettelte
die Schwester. Vergebens. Ein letztes, wildes Miauen — dann kehrte Gino zurück
und hob einen fetten Kater ins Licht, dem Blut aus der aufgeschnittenen Kehle
tropfte. »Unser Festtagsbraten!« rief er stolz. Annaberta spie ihm den
halbverdauten Bissen Katzenfleisch vor die Füße, ihr Hunger war vorbei. Ginos
Stolz auch.
    Es dauerte nicht mehr lange, so übermannte beide
der Schlaf. Als Schwester Annaberta wieder erwachte, sickerte Morgenlicht durch
das vergitterte Fenster. Sie kniete sich auf dem Boden nieder und sprach ihr
Gebet. Plötzlich schreckte sie kicherndes Lachen aus ihrer Andacht. Palmiro,
mit einem kurzen Hemdchen bekleidet, schlug Purzelbäume vor Vergnügen, als er
die Schwester auf den Knien sah. Er meinte anscheinend, jetzt werde sich bald
der Papa erheben und die Schwester verprügeln. Denn wozu hätte sie sich sonst
niedergekniet?
    Annaberta wollte zornig werden; doch schließlich
konnte sie nicht anders, als in sein Lachen einzufallen. Sah er nicht drollig
aus, der Katzenfängerkronprinz von Trastevere, wenn er abwechselnd mit dem
schwarzen Wuschelkopf oder der blanken Hinterfront aus dem Lumpenberg, der ihm
zum Nachtquartier gedient, emportauchte?
    »Palmiro!« rief die Schwester lockend, und als er
näherkroch, holte sie aus der großen Tasche alles hervor, was sie für die
Kinder im Waisenhaus eingekauft hatte: den Gummibären, den Affen aus Stoff, den
Wachselefanten mit dem Aufdruck >Anno Santo<, die Gliederpferdchen. Als
gälte es, eine Krippe herzurichten, so andächtig baute sie das Spielzeug auf
dem Boden auf. »Alles hat der Heilige Vater gesegnet!« sagte sie, und dachte
sich noch dazu: >Wenn schon kein Priester Zutritt zu dieser Wohnung hat,
sollen die Spieltierchen Boten der himmlischen Güte sein.<
    Palmiro staunte und staunte und brachte kein Wort
hervor. Scheu wanderte sein Blick
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