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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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»zeitnahe
Atmosphäre« auf der Reise herrsche, aller Kitsch in Wort und Tat vermieden und
keine Konzession an seufzende Altweiberfrömmigkeit gestattet werde. Er habe
nicht umsonst zwei Jahre am Germanikum studiert und wisse, wie gefährlich die
römische Schlamperei deutscher Glaubenszucht werden könne. Ergo erwarte er von
der Reiseleitung, daß sie alles tue, um die Pilgerfahrt jugendtümlich und
weltoffen zu gestalten. Als der biedere Monsignore dieses (zweifelsohne vorher
schriftlich fixierte) Ultimatum zu Beginn der Fahrt an den Kopf geworfen bekam,
holte er zunächst einmal tief Luft, putzte sich gelassen die Brille, um diesen
merkwürdigen Hochwürden genauer zu betrachten, und sagte dann »Schon gut!« und
dachte sich im stillen: »Dich werden wir schon beschäftigen, du Preuß!«
    Der Dritte im Kleeblatt der Reiseleitung war Herr
Adam Birnmoser. Früher hatte er sich für ein paar Semester in Theologie, später
lange Jahre bei der Infanterie mit wechselndem Glück versucht; jetzt verdiente
er sich sein täglich Brot damit, Sonderzüge zu organisieren, im Winter nach
Oberstdorf, im Karneval nach Köln, zu Ostern nach Spanien, zu Pfingsten nach
Rom, im Sommer nach Sylt und im September zum Oktoberfest.
    Was ihm gestattete, jeden Tag sechs schwere
Zigarren zu rauchen und nach jeder zweiten Zigarre einen Rosenkranz zu beten.
Denn Herr Birnmoser war, an seinem Vermögen gemessen, geradezu beängstigend
fromm, versäumte keinen Ablaß, trug sich in jede Bruderschaft ein und rührte
alle Pilger zu Tränen, wenn er am Abend durchs Zugmikrophon das Ave Maria von
Gounod sang.
     
    Diesen »Großen Drei«, wie ein Witzbold sie taufte,
war die gesamte Pilgerschar, ob Mütterlein, ob Intellektueller, ob Backfisch,
ob Familienvater, anvertraut. Sie wachten über Leib und Seele, führten eine
kleine Apotheke mit sich und eine Rollwagenbibliothek mit moralisch
einwandfreier Unterhaltungslektüre. Sie tüftelten auch den Zeitplan aus, wobei
der Laie Birnmoser zwischen den beiden hochwürdigen Herren oft vermitteln
mußte. Denn während der Monsignore den Pilgern zwischen den einzelnen
Besichtigungen und Veranstaltungen ein kurzes Verschnaufen gönnen wollte und
auf einen gewissen Spielraum im Zeitplan bedacht war, wünschte der Kaplan alles
auf die Minute genau zu regeln, was den Monsignore wütend machte und zu der
Bemerkung reizte, er sei schließlich nicht mit der Stoppuhr zur Welt gekommen.
    Der Kaplan lächelte mitleidig, ließ seine schönen
Zähne schimmern und meinte, ob Seine Gnaden nicht endlich die Pilgerfahrt
offiziell eröffnen wollen, die Lokomotive habe bereits aus dem Gleisgewirr des
Ostbahnhofs die Strecke nach Kufstein herausgefunden.
    Monsignore wollte etwas entgegnen, doch er
schluckte die Galle hinunter, schaltete das Mikrophon ein, bekreuzte sich und
sprach mit kräftiger Stimme: »Liebe Pilger! In Gottes Namen beginnen wir unsere
Fahrt zur Heiligen Stadt. Möge sie uns recht viele Freude, reichen Segen
bringen, und nicht nur uns, sondern auch unseren Lieben daheim, die nicht
mitfahren können und die unseren Zug mit ihren Wünschen und Gebeten begleiten.
Ich werde jetzt durch die einzelnen Abteile gehen, um jeden von euch
kennenzulernen. Und wenn einer etwas auf dem Herzen hat, soll er mir’s nur
sagen!« Damit war die Reise offiziell eröffnet. »Kommen Sie, lieber Birnmoser,
und begleiten Sie mich«, lud der Monsignore den Manager ein und faßte ihn
freundschaftlich am Arm, »der hochwürdige Herr Kaplan findet dann Ruhe, sein
Brevier zu beten!«
    Ihre Visite begannen sie in der >Schwanzspitze
der Pilgerschar<, wie Birnmoser zu sagen beliebte. Dort hatte inzwischen
Schwester Annaberta mit den Kindern der Welt Bekanntschaft geschlossen. Sie war
zufrieden, im letzten Wagen zu sitzen. So konnte sie ein Sekündchen länger in
Deutschland bleiben, und auf der Heimreise wieder ein Sekündchen länger in
Italien. Der Dame gegenüber ging diese Logik freilich nicht ein; sie schimpfte
darüber, Schlußlicht zu sein. Da bekomme man die Schönheiten der Landschaft
immer als letzte zu sehen und sei außerdem bei Zusammenstößen aufs höchste
gefährdet. Wie es ihre Gewohnheit war, nickte Schwester Annaberta beifällig zu
allen Äußerungen, um derentwillen es sich nicht zu streiten lohnt, auch wenn
sie selbst anderer Meinung war. Die Dame fühlte sich in ihrer Entrüstung
bestätigt und stellte sich als Schulrätin Raibeisen vor. Sie fiel auf durch ein
tiefgrünes Kleid, eine dicke Hornbrille und ein
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