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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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Rom bezahlt.«
Über diese Bemerkung ärgerte sich die Schulrätin offensichtlich. Hätte ich nur
lieber geschwiegen, sagte sich Annaberta und beschloß, in Zukunft die Worte
sparsamer und klüger zu setzen, um ja keinen Pilger mehr zu kränken.
    »So haben Sie noch niemals eine Enttäuschung mit
Ihren Zöglingen erlebt?« forschte die Schulrätin eifersüchtig.
    »Kleine Enttäuschungen jeden Tag« bekannte die
Schwester.
    »Und große, massive? Sie wissen, was ich meine.«
    »Auch große.«
    Die Schulrätin schien nun wieder einigermaßen
getröstet, packte ein dickes Schinkenbrot aus und teilte es mit ihrer Tochter.
Als die verarmte Baronin das sah, fingerte sie einen Zwieback aus ihrem
Täschchen und stopfte die Hälfte davon ihrem Mann in den Mund: »Zweiunddreißigmal
kauen, vergiß das nicht, Ferdinand!«
     
    »Brennero! Brennero!«
    »Seltsam, bei uns sagt man Feurio, wenn ein Brand
ausbricht«, äußerte Annaberta zur Schulrätin und kam sich zum erstenmal auf
dieser Reise gescheit vor.
    Sulamith begann zu kichern, die Schulrätin verbarg
ihr Gesicht hinter einem Schneuztuch, die Baronin stieß den Baron an und der
Primiziant senkte den Kopf. Nur Fräulein Eva fand die Seelenstärke, den
entgleisten Zug von Annabertens geographischen Kenntnissen wieder aufzurichten:
»Brennero ist der italienische Name für den Brenner, die Grenzstation zwischen
Österreich und Italien.«
    »Dann sind wir also schon in Italien!« Die
Schwester klatschte vor Freude in die Hände. Ob sie schon die Kuppel der
Peterskirche sehen könne? Sie preßte ihre Wange an die Fensterscheibe. Doch da
gab es nur graugrüne Kasernen und eilfertige Zollbeamte zu entdecken. »Ist es
noch sehr weit bis Rom?« erkundigte sich Annaberta bei Sulamith.
    »Über 800 Kilometer«, entgegnete das Mädchen
herablassend. »Das heißt noch einmal soweit wie von München bis zum Brenner.«
    Eine trübe Aussicht für unsere alte Schwester, der
vom langen Stillsitzen schon die Beine schmerzten. Sie war gewohnt, den ganzen
Tag wie ein Wiesel herumzulaufen. 800 km noch! Na, wenigstens waren es 800 in
Italien.
    Italien war für Schwester Annaberta das gelobte
Land der heiligen Kirche, besprengt mit dem Blute der Apostelfürsten und aber
tausend Märtyrern, geschmückt mit den prächtigsten Gotteshäusern des Erdballs.
Hatte hier nicht jedes Dörflein seinen Heiligen zuwege gebracht? Wurde hier
nicht jeder zehnte Priester Bischof, jeder hundertste Kardinal und jeder
tausendste Papst? (Bei dem Gedanken, auch Primiziant Süß könnte hierzulande
eine Mitra winken, wurde der Schwester doch ein wenig unbehaglich zumute.)
Jenes seltsame Wort des Lieblingsjüngers »Gottes Gebote halten ist nicht
schwer« — ihr war es immer ein bißchen übertrieben erschienen — war sicher auf
die Italiener gemünzt. Sie hatten das Glück, in einem Lande zu leben, wo dank
der Gnadenfülle Gottes der Himmel leuchtender blaut, der Weizen goldener reift
und der Wein köstlicher gedeiht als in tausend anderen Ländern der Erde. So
jedenfalls stellte sich Annaberta das vor. Sie hätte sich kaum gewundert,
hätten Heiligenscheine die italienischen Zollbeamten umflossen. Doch statt der
Heiligenscheine trugen sie Schnurrbärte. In mühseligem Deutsch ersuchten sie
die Passagiere, ihre Koffer zu öffnen. Dann wühlten sie recht ungalant darin
herum. In Annabertens Köfferchen entdeckten sie einen elektrischen
Rasierapparat, schüttelten den Kopf, besprachen sich in schönklingenden Worten
und begannen laut zu lachen. Schwester Annaberta lauschte aufmerksam, verstand
natürlich keine Silbe und fragte endlich die Schulrätin, ob sie die Worte der
Zollbeamten verstanden habe.
    »Si capisce«, erwiderte Frau Schulrätin.
»Schließlich zählt Italienisch zu den vier Kultursprachen, die jeder gebildete
Mitteleuropäer beherrschen sollte. Stimmt das, Suli?« Sulamith nickte.
    »Und darf ich fragen, was haben sie gesagt?«
    »Die Schwester hat wohl Haare auf den Zähnen, die
sie wegrasieren muß, haben sie gesagt.« Alle schmunzelten.
    »So — Haare auf den Zähnen«, lachte Annaberta.
»Die habe ich aber auch!« So rollte der letzte Wagen unter fröhlichen Scherzen
ins gelobte Land hinein.
     
    Auch Monsignore Schwiefele fand am Brenner sein
Selbstvertrauen wieder. Das aufdringliche, neunmalgescheite Gehabe des >zeitnahen<
Kaplans hatte ihn mehr verdrossen, als er nach außen hin merken ließ. Noch
immer waren zwei Plätze im Abteil der Reiseleitung freigewesen. Aus Furcht, der
Kaplan könnte
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