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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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sie mit zweien seiner Anhänger besetzen, hatte der Monsignore
zwei alleinstehende Herren eingeladen, ihm Gesellschaft zu leisten. Dies waren
ein Hopfenbauer aus der Hallertau und ein zahnloser Mesner aus München. Sie
sollten ihm als Leibwächter süddeutscher Gemütlichkeit helfen, sich gegen den
Stoppuhr- und Marschtrittkatholizismus nördlicher Breiten zu behaupten.
Zunächst saßen der Simmerl und der Luitpold, so hießen die beiden, wie
verschüchterte Hennen neben den schwarzen Hähnen, bis der Monsignore eine Prise
Schnupftabak anbot und damit die Konversation eröffnete. Die zwei nahmen
dankend an. Als er auch dem Kaplan die Freude machen wollte, lehnte dieser ab,
er rauche und schnupfe niemals.
    »Drum«, sagte der Monsignore und blickte seine
Leibwächter an.
    »Drum«, echoten die beiden und nickten.
    Da fiel es dem Kaplan ein, er müsse sich um seine
Pfarrjugend kümmern, und er verschwand. So rollte auch der Wagen der
Reiseleitung unter fröhlichem Scherzen ins gelobte Land Italien hinein.
     
    Draußen vor den Fenstern glitten Felswände, Berge,
Wälder, saftige Wiesen und freundliche Dörfer vorbei. Der Zug donnerte aus
Leibeskräften ins Etschtal hinunter. Auch ihn zog es mit Macht zur heiligen
Stadt. Bozen, Trient, Verona — Städte tauchten auf, zeigten sich von ihrer
rußigen Seite und machten bald wieder Feldern und Gärten Platz. Das Geplauder
in den Wagen schleppte sich immer träger dahin, und als in der Poebene auch die
Flimmerwand der Fensterscheiben sich ebener Langweile verschrieb, versickerte
es gänzlich. Monsignore Schwiefele fand, nun sei die Zeit für den Rosenkranz
reif, und forderte durch das Mikrophon alle lieben Pilger und Pilgerinnen auf,
zur himmlischen Mutter die freudenreichen Geheimnisse des Rosenkranzes zu
beten. Das erste Gesetzchen beteten er, Herr Birnmoser, der Simmerl und der
Luitpold mit ihren Heldenbässen vor, dann überließen sie die einzelnen Wagen
ihrem eigenen Gebetsrhythmus.
    Im letzten Abteil schloß sich niemand vom
gemeinsamen Beten aus. Frau Schulrätin und ihre Tochter rissen das Vorbeten
bald an sich und rezitierten in feinstem Hochdeutsch ein Ave um das andere. Die
übrigen Insassen scherten sich weniger um richtige Aussprache und gleichmäßigen
Rhythmus. Und wenn sie auch manche Silben verschluckten, um so deutlicher
respondierte das Herz.
    »Den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen
hast — «
    Weit geöffnet lag das Land ringsum und gab sich
dem goldenen Lichte hin, das die Sonne zum Abschied noch einmal in
verschwenderischer Fülle verströmte. Hochbeladene Erntewagen schaukelten wie
Segelschiffe über die reife, grüne Flut. Die Welt tummelte sich im Segen ihres
Vaters. Und Mariens blauer Mantel deckte sie zu.
    »Den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast —
« >Wie weit mag wohl der Weg von Nazareth nach Judäa sein? Weiter als von
München nach Rom? Und damals fuhr noch keine Eisenbahn, und gab es keinen
Monsignore und keinen Herrn Birnmoser, der sich um alles kümmerte. Maria und
Josef müssen gut zu Fuß gewesen sein<, dachte Annaberta. >Ob ich das wohl
zuwege brächte? Kaum, kaum. Die gnädige Frau Schulrätin freilich noch weniger.
Wenn einer aus unserem Abteil, dann höchstens die sportliche Dame am Fenster<
    »Den du, o Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast — «
>Halb sieben. Nun wird Schwester Glyceria an meiner Statt die
sechsundzwanzig Waisenkinder zum Abendessen zusammenklatschen, wird ihnen die
Mäulchen waschen, damit sie unbeschwert von Erdenschmutz ihr »Gelobt sei Jesus
Christus!« schmettern und sich dann mit Eifer über die süßen Kirschen und die
sauren Tomaten stürzen können. Ob die Kinder mich wohl vermissen werden, so wie
ich die Kinder vermisse? Du gütiger Himmel, was wär’s doch für eine Freude, zusammen
mit den Kindern nach Rom zu fahren! Das geht nun leider nicht. Doch ich habe ja
allen versprochen, ein Angedenksel mitzubringen, ein schönes Angedenksel —<

    »Den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast —
« Der kleine Baron hatte immer leiser mitgebetet, war nun gänzlich
eingeschlafen und ruhte mit offenem Munde an der Brust seiner Gemahlin. Die
imposante Dame strich ihm liebevoll über die Glatze, als wäre er ihr jüngster
Bub, und winkte den anderen, nicht gar so laut zu beten, damit der Herr Baron nicht
erwache. >Mein Gott<, dachte Annaberta, >Maria hat ihren Sohn
aufgeopfert, und er kann nicht einmal das Opfer bringen, wach zu bleiben, bis
der Rosenkranz beendet ist. Doch vielleicht ist
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