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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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Sulamith
ihre Mutter anstieß und flüsterte: »Er sagt schon >Du< zu ihr!«
    »Wer zu wem?«
    »Der Primiziant zu dem Fräulein. Sie heißt
übrigens Eva.«
    »Pst, Suli! So etwas sagt man nicht.« Frau
Schulrätin legte ihrer Tochter den Finger auf den Mund, wandte sich dann zur
Schwester und flüsterte ihr ins Ohr: »Sie sagen schon Du zueinander, der
Primiziant Süß und diese Eva. Denken Sie, sie heißt wirklich Eva! Sehr
bezeichnend, nicht wahr?«
    Schwester Annaberta nickte. Was wollte sie sonst
tun? Im Herzen freilich war sie recht traurig. Sie hatte sich die Romreise als
eine ununterbrochene Kette von Glück und Freude vorgestellt, und nun plumpste
sie von einer Sorge in die andere. Eben hatte sie daran gedacht, ob Schwester
Glyceria den Grießbrei für die Waisenkinder auch nicht zu süß zubereiten würde,
und jetzt plagte sie die Sorge um das Seelenheil eines jungen Priesters. Die Schulrätin
hätte offenbar recht gern ein hämisches Geflüster über >ihn< und
>sie< begonnen, doch Annaberta zeigte wenig Lust hierzu. Sie schloß die
Augenlider und betete erst für die Waisenkinder, dann für den Primizianten und
schließlich auch noch für die Eva.

    Der Zug donnerte zum Brenner hinauf. Die dem
Tiefland entstammende Pfarrjugend beiderlei Geschlechts riß die Fenster auf,
ließ den Zugwind durch die Haare flattern und schrie angesichts der Tiroler
Bergriesen aus vollem Halse: »Zu Mantua in Banden der treue Hofer war.« Als der
Kaplan davon hörte, war er entsetzt. Im Sturmschritt durchraste er die Wagen,
trat dabei einer betagten Dame auf die Zehen, so daß sie gottserbärmlich
aufquiekte, erreichte endlich die luftigen Abteile seiner Schäfchen und
herrschte sie an: »Was fällt euch ein, bei offenem Fenster zu krähen! Wollt ihr
eure Stimmen ruinieren? Mit heiseren Leuten singe ich nicht vor dem Heiligen Vater.«
Das Argument wirkte. Der Andreas Hofer wurde wieder zu Grabe getragen. Seine
Landschaft aber wurde immer schöner.
    Das fand auch Schwester Annaberta. Noch niemals
hatte sie solche Berge gesehen. Manchmal meinte sie, die wilden Gipfel stürzten
auf den Zug nieder, so jäh schossen sie neben den Schienen empor. »Auf die
Dauer hätte ich Angst, hier zu wohnen«, bemerkte sie zu Frau Raibeisen. »Bei
uns daheim sind die Berge noch Kinder, mit runden Buckeln und nur so hoch, daß
sich niemand den Hals zu verrenken braucht, um sie zu überschauen.«
    »Danken Sie Gott, daß Sie in bergiger Gegend
wohnen dürfen«, nahm die Schulrätin das Wort. »Mich hat es leider ins platte
Land verschlagen. Keine Sehenswürdigkeit, kein Museum, keine landschaftlichen
Reize weit und breit. Und die Jugend ist so dumm wie das Land platt ist!
Stellen Sie sich vor, in einer Stadt von nahezu zwanzigtausend Einwohnern finde
ich keine Seele, die ich meiner Tochter als Bekanntschaft empfehlen könnte.
Unglaublich parterres Publikum, sage ich Ihnen. Und keinerlei liturgischen
Sensus! Nicht einmal der Geistliche Rat will mir glauben, daß seine
Seelsorgsmethoden veraltet sind. Kürzlich hat er dem Neffen meiner Schwägerin
beim Ministrieren eine Ohrfeige verpaßt. Nicht wahr, Suli?« Die Tochter nickte.
»Und die Kinder sind garstig! Es ist zum Heulen. Danken Sie Gott, liebe
Schwester, daß Sie mit Kindern nichts zu tun haben. Sie sind sicher in der
Küche beschäftigt?«
    »Im Waisenhaus, gnädige Frau.«
    »Wie — was? Als Erzieherin etwa?«
    »Nein, nein«, wehrte Annaberta eingeschüchtert ab.
»Ich hab nur zwanzig bis dreißig Waisenkindern, Buben wie Mädchen, ein bißchen
die fehlenden Eltern zu ersetzen.«
    »Waisenkinder. Ist das nicht furchtbar unangenehm?
Ich meine, wenn man die Eltern kennt, so mag es ja noch angehen. Aber wie oft
sind die Eltern unbekannt! Alles mögliche erblich belastete Gesindel kann man
sich da auf den Hals laden. Denken Sie nur daran, wieviel Asoziale gerade aus
Waisenhäusern stammen! Bitte, Schwester, ich meine natürlich nicht Ihr
Waisenhaus! Doch werden auch Sie vermutlich nicht allzuviel Freude erleben.«
    »Allzuviel nicht, aber es reicht.«
    »Na ja, solange die Kinder klein und herzig sind.
Doch später? Dankbarkeit kennt dieses Pack doch nicht. Ich sehe das bei meinen
Schülerinnen. Dabei kommen die meisten aus guten Häusern. Eine einzige nur
unter achtzig hat mir ihre Verlobung mitgeteilt. Von der Hochzeit nachher habe
ich erst nach ihrer Scheidung erfahren.«
    »Da möchte ich nicht klagen, gnädige Frau. Unsere
Kinder sind recht anhänglich. Sie haben mir auch die Fahrt nach
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