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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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und müsse ehrlich gestehen,
er überträfe das Wasser aller wunderbaren Quellen, von denen sie bisher
genossen.
    »Der Kellner verstand sein Geschäft«, sagte
Birnmoser und bemühte sich, ein ernstes Gesicht zu bewahren.
    »Oh, er ist ein gottesfürchtiger Mann! Die Tränen
rollten ihm über die Wangen, als er erzählte, wie der Heilige im Hinabstürzen
seine Feinde noch segnete. Zum Dank gab ich ihm meine restlichen Dollars. Der
arme Mann hat zehn Kinder zu ernähren!«
    Emerenzens Augen glühten vor Rührung. Dann führte
sie die Gesellschaft in eine dunkle Nische und zeigte ihnen den tiefen Brunnen,
wo die Heiden den Papst Kallistus ertränkt hatten.
    Schwester Annaberta erschauderte: »Gerechter Gott,
wie soll mir jetzt das Essen schmecken!«
    »Aber liebe Schwester«, beruhigte sie der
Monsignore. »Dem heiligen Kallistus schmeckt es auch längst an der himmlischen
Hochzeitstafel. Im übrigen gefällt es dem Herrgott sicher besser, wenn wir beim
Wein ein Tedeum anstimmen als wenn wir beim Wasser ein saures Gesicht machen
und über die schlechten Zeiten murren.«
    »Gut gesagt, Hochwürden«, ließ sich Eva hören.
»Doch am meisten gefiele es ihm, wenn wir beim Wassertrinken ein Tedeum
sängen!«
    »Natürlich«, gab der Monsignore zurück, »wenn
einer diese Gnade hat —!«
    Heute hatte sie keiner von ihnen. Sie riefen nach
dem Kellner. Bald tänzelte er die Treppe herunter und kredenzte galant eine
Flasche Orvieto Bigi. Der Emerenz zwinkerte er freundschaftlich zu, doch als er
der Schwester Annaberta einschenken wollte, befiel ihn plötzlich ein Zittern
und er vergoß einige Tropfen aufs Tischtuch.
    »Was haben Sie? Ist Ihnen nicht wohl?« fragte ihn
Birnmoser.
    »Niente, Signore, niente«, stieß er hastig hervor
und zitterte noch mehr.
    Überrascht hob die Schwester den Kopf, blickte auf
den Kellner, und nun befiel auch sie das Zittern.
    »Was ist Ihnen, Schwester? Ist Ihnen nicht wohl?«
fragte sie Eva.
    »O niente, Signore, niente — « erwiderte sie, und
als alle laut auflachten, weil sie plötzlich italienisch redete, fand sie ihre
Fassung zurück und bedeutete dem Kellner mit souveräner Geste, ihr Glas zu
füllen.
    Als der Kellner wieder verschwunden war — er
stürzte wie in wilder Flucht die Treppe hinauf — , meinte Birnmoser, das müsse
ein Aushilfskellner sein. Er kenne ihn nicht und sei doch hier bestens bekannt.
    Gino war es gewesen. Doch die Schwester verriet
das nicht. Am Ende riefe der gesetzesfromme Birnmoser die Polizei herbei. Dann
müßte sie die kleine Annaberta in die Fürsorge geben. Andererseits war zu
befürchten, daß Gino inzwischen das Wegschenken seiner Tochter bereute und sie
zurückhaben wollte. Jedesmal nun, wenn auf der Treppe Schritte laut wurden,
zuckte die Schwester zusammen und spähte ängstlich, ob nicht ein Polizist
erscheine. Doch es war immer nur Gino, der erst eine Aufschnittplatte, dann
wieder Wein und zum Schluß daumendicke Zigarren brachte. So trieben die beiden
ein heimliches Duell miteinander, von dem die Tafelgenossen nichts ahnten, und
belauerten sich argwöhnisch trotz der gleichgültigsten Miene der Welt, um die
sie sich bemühten. Daß Annaberta nur wenig aß und trank, schrieb der Monsignore
auf den Bericht vom Tod des heiligen Kallistus. Wahrscheinlich geisterte ihr
der ertränkte Papst appetitverderbend durchs Gemüt.
    Alois Süß, der beim Primizmahl von den leckeren
Speisen nur gekostet und seither irdische Genüsse geringgeachtet hatte, fand
endlich zu seiner früheren Daseinsfreude zurück. Der vollere Magen dämmte seine
Gähnsucht ein. Er begann von Theologenstreichen zu plaudern, ahmte berühmte
Professoren nach und brachte die ganze Gesellschaft zum Lachen. Eva und der
Monsignore blieben ihm nichts schuldig, und so reichte bald ein Scherz dem
anderen die Hand, bis das geistliche Haupt der Pilgerschar, sein hüpfendes Bäuchlein
mit der Hand beschwichtigend, sich über das Weinglas beugte und sprach: »Wenn
doch die Evangelisten nur die Späße berichtet hätten, die der Heiland auf der
Hochzeit von Kana erzählte! Das waren bestimmt die besten von der Welt!«
    Ein fröhliches Kopfnicken am ganzen Tisch, nur
Emerenz rümpfte die Nase, als sei sie die Großmutter der Inquisition.

    Die Zeit verging wie im Urlaub. Der Primiziant
hatte sich verleiten lassen, eine Zigarre — die erste seines Lebens — zu
rauchen und wurde nun zusehends stiller und bleicher. Um neun Uhr flutete ein
Schwarm amerikanischer Kunststudenten in den Keller und ließ
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