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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom
Autoren: Adalbert Seipolt
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hätte, zu erklären. Sogar das pädagogische Senkblei der
Schulrätin stieß hier auf keinen Grund.
    Alles in allem: die Heimfahrt wurde bei weitem
nicht so lustig wie die Hinfahrt. Wo hätten die Pilger auch die freudige
Erwartung hernehmen sollen? Was sie daheim erwartete, wußten sie ja. Baronin
von Neuhaus sah die lästigen Fehden mit ihrer Zugehfrau voraus; auf den Mesner
Luitpold wartete seine besenschwingende Alte, auf den Primizianten der Bescheid
des Bischofs, sich als dritter Kaplan einer Industriepfarrei zu melden. Zudem
waren sie alle erschöpft. Viele tauchten schon an der Stazione Tiburtina in
bleiernen Schlaf und schnarchten bis zur Grenze durch. Kaplan Schlüter,
offenbar doch von südlicher Gelassenheit infiziert, verzichtete darauf, seine
Schützlinge in einem Wagen zu kasernieren. So wurde der Weißwurstäquator, der
sich in den ersten Tagen der Reise wie eine heimliche Grenzlinie zwischen die
Pilger gelegt hatte, ausradiert. Simmerl, der Hopfenbauer, plauderte vergnügt
mit einem Dutzend rheinischer Jungen und Mädchen und wunderte sich baß, wie
mühelos sie mit dem Imperfekt und dem Konjunktiv umgingen, zwei Erscheinungen
der deutschen Sprache, die einem stammesbewußten Bayern zeitlebens so zuwider
bleiben wie gesüßtes Bier.
    Brüderlich vereint beteten, murmelten, schnarchten
und schwatzten die Pilger dem Brenner entgegen. Bei Bologna wurde es hell, in
Verona grüßte die Sonne zum Fenster herein, in Trient wachte der Monsignore
wieder auf und in Bozen verschnaufte der Zug. Es blieb Zeit, sich die Füße zu
vertreten und den Magen zu beschäftigen. Die kleine Annaberta schrie noch immer
nicht.
     
    *  *  *
     
    Hinter Brixen betrat Monsignore Schwiefele das
letzte Abteil. Sein Gesicht verriet Sorge, als er den Säugling erblickte. »Was
machen wir beim Zoll? Wir haben keine Exportgenehmigung für das Kind.«
    Ja wahrhaftig, daran hatte niemand gedacht! Frau
Schulrätin bestritt das zwar und erklärte, sie hätte bereits in Rom darauf
hingewiesen, wie wichtig es sei, Papiere für die kleine Annaberta zu
beschaffen; doch konnte sich außer ihr niemand dieses Hinweises erinnern. Nun
war guter Rat teuer. Letzten Endes würde die brave Schwester noch wegen
Kindsentführung hinter Schloß und Riegel gesperrt. »Niemals wird das
geschehen«, rief der Baron empört. »Wir werden sie bis zum letzten Blutstropfen
verteidigen!« Dabei funkelte er mit den Augen, als käme der Geist seiner Ahnen,
berüchtigter böhmischer Raubritter, über ihn.
    Die drohende Gefahr hatte sich rasch
herumgesprochen und nun hagelte es Ratschläge. Emerenz Obermair riet, die
Zuflucht zum heiligen Matthäus zu nehmen, der selber Zöllner gewesen. Ein
anderer meinte, an die Tür des Abteils einen Zettel mit der Aufschrift:
»Diphtherie« zu kleben. Stürmische Rheinländer boten sich an, dem Zollbeamten
den Zutritt zu verwehren. Doch da half kein feierliches Imperfekt und kein
klangvoller Konjunktiv — die kleine Annaberta besaß keine Papiere, und wer
keine Papiere besitzt, existiert nicht.
    Gossensaß, durch einen Schüttelreim bestens
bekannt, lag bereits hinter ihnen. Unaufhaltsam keuchte der Zug den Brenner
hinauf.
    »Schieben Sie halt das Kind unter die Sitzbank. So
genau schauen diese Italiener gar nicht nach, vor allem nicht bei einer
Klosterfrau«, riet Eva schließlich und jeder fand das vernünftig. Nur die
Schulrätin erklärte, es touchiere sie schmerzlich, bei einer Defraudation gegen
die Behörde mithelfen zu müssen. Da außer ihr jedoch niemand wußte, was
touchieren und defraudieren heißt, fiel dies Bedenken nicht ins Gewicht.
    Also wurde Annaberta junior in ihrem Körbchen
unter die Sitzbank verfrachtet. Störmanöver ihrerseits waren ja gottlob nicht
zu befürchten. Während die Zollbeamten noch die ersten Wagen kontrollierten,
betete im letzten jeder inbrünstig, daß die Gefahr glücklich vorüberziehe.
    Der Zöllner trat ein und grüßte freundlich.
    »Guten Tag die Herrschaften! Etwas zu verzollen?
Wein? Kaffee? Zigaretten? Oder sonstige neue Waren?«
    Alle schüttelten lebhaft, zu lebhaft mit dem Kopf.
Nur Schwester Annaberta hielt ihn steif.
    »Sie auch nicht, Schwester? Keine neuen Waren?«
    Ehe nun Annaberta, die Blicke aller auf sich
gerichtet, den Mund öffnen konnte, schrie die kleine Annaberta aus
Leibeskräften und meldete unbarmherzig ihre Ansprüche an. Eigentlich hätten nun
die Schwester und die Mitverschworenen erblassen müssen, doch vor Freude über
den langersehnten Schrei
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