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Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen
Autoren: Hooper
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Prolog
    Es war kalt.
    Sie spürte, wie der Wind an ihren Haaren zerrte, hörte, wie er ums Dachgesims heulte und mit irgendetwas klapperte, das wie ein loses Stück Blech klang. Ihre Haut war klamm von der feuchtkalten Luft, die Kälte ging ihr durch Mark und Bein.
    Vermutlich stand sie unter Schock. Das war ein sonderbares Gefühl, dieser Schock. Ein seltsamer Schwebezustand, wo ihr eigentlich nichts Sorgen machte.
    Also hatte sie wohl weniger die Sorge als vielmehr ihr Instinkt getrieben, sich zu bewegen, trotz der Schmerzen weiterzukriechen. Die Unebenheit des Bodens kam ihr dabei zu Hilfe, war aber auch Folter. Ihre Finger fanden darin Halt, doch zugleich scheuerte sie sich grausam die Haut auf, schienen lauter kleine Meißel ihren Körper zu quälen.
    Einer ihrer Fingernägel riss schmerzhaft ein. Sie war sich des Schmutzes und verkrusteten Blutes unter den wenigen noch unversehrten Nägeln bewusst. Wahrscheinlich vernichte ich gerade Beweise oder so was. Wahrscheinlich vermassele ich noch alles .
    Doch auch dies schien unwichtig. Sie konzentrierte sich auf das, was war. Streck einfach immer wieder die Hand aus, eine nach der anderen. Halte dich an irgendwas fest, egal, wie weh es tut. Schlepp dich weiter, egal, wie weh es tut.
    Sie bewegte sich nun mechanisch, wie ein Automat. Hand ausstrecken. Zupacken. Ziehen. Hand ausstrecken. Zupacken. Ziehen. Da ging ein weiterer Fingernagel dahin. Mist. Hand ausstrecken. Zupacken. Ziehen.
    Als sie unvermittelt ins Leere griff, tastete sie mehrere Minuten ungeschickt umher, ehe sie begriff, dass sie sich an einer Treppe befand.
    Eine Treppe.
    Schon die Vorstellung, dass ihr geschundener Körper eine harte Stufe nach der anderen hinabholperte, ließ sie erschaudern, und sie hörte, wie ihren geschwollenen Lippen ein schwacher Laut des Grauens, kaum lauter als ein Wimmern, entwich.
    Es würde höllisch wehtun.
    Es tat höllisch weh.
    Als sie beinahe unten angelangt war, verließen sie die Kräfte. Die letzten Stufen legte sie in einem qualvollschmerzhaften Rutsch zurück. Danach lag sie kraftlos auf dem alten Fliesenboden, der nach Schmutz, gekochtem Kohl und Urin stank, und schluchzte lautlos vor sich hin.
    Sie mochte eine Weile geschlafen haben, oder vielleicht war sie auch ohnmächtig gewesen, denn ihr Körper weigerte sich, sich weiterzuschleppen. Doch schließlich kehrte derselbe Instinkt zurück, der sie bis hierher getrieben hatte, und drängte sie, sich wieder in Bewegung zu setzen.
    Ich muss. Ich muss.
    Ja. Du musst.
    Das war merkwürdig, diese andere, fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie dachte eine Weile darüber nach und krümmte sich dabei wie ein Fötus zusammen, obwohl diese Art der Seitenlage schmerzhafter war. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Eine gebrochene Rippe vermutlich.
    Drei gebrochene Rippen. Und ein Loch in der Lunge. Hör mir zu, Hollis. Du darfst nicht liegen bleiben. In ein paar Minuten wird jemand vorbeikommen. Wenn du dann noch nicht draußen bist, wird man dich erst morgen finden.
    Wie sonderbar. Die Stimme kannte ihren Namen.
    Morgen ist zu spät, Hollis.
    O ja, das glaubte sie auch.
    Willst du weiterleben?
    Wollte sie das? Sie glaubte schon. Allerdings würde es nicht das Leben sein, das sie vorher gelebt hatte. Vielleicht würde es sogar überhaupt kein richtiges Leben mehr sein. Aber … verdammt … sie wollte es. Und wenn sie nur lange genug lebte, um …
    Rache?
    Gerechtigkeit.
    Unter Schmerzen drehte Hollis sich wieder auf den Bauch und robbte Zentimeter für Zentimeter weiter. Sie hatte den Eindruck voranzukommen, zumindest, bis sie auf eine Wand traf.
    Verdammt.
    Sie lauschte und glaubte, aus der Ferne Verkehrsgeräusche zu hören; das war ihr einziger Anhaltspunkt im Hinblick darauf, wo sich die Tür befinden mochte, durch die sie aus dem Gebäude entkommen konnte. An der Wand entlang tastete sie sich auf die Geräusche zu.
    Es wurde kälter. Der Wind, der die ganze Zeit durchs Haus gepfiffen hatte, während sie sich treppab gequält hatte, blies ihr nun ins Gesicht. Sie vermutete, dass das Gebäude vor langer Zeit die meisten Fenster und Türen eingebüßt hatte. Nun hatte der Wind freie Bahn und wirbelte den Staub und Moder vieler Jahre der Vernachlässigung auf, während er ihr zugleich in die Knochen fuhr.
    Nur noch ein kleines Stückchen, Hollis.
    Sie fragte sich, warum die Stimme nicht einfach einen Notruf tätigte. Doch das war wohl ein wenig zu viel verlangt von einem Fantasieprodukt.
    Da ist die Tür. Spürst du sie?
    Unter
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