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Absturz

Absturz

Titel: Absturz
Autoren: Gstaettner
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Kaffeemenschen zum Biermenschen bekehrt hat. Übrigens steht es mittlerweile drei zu null für Otto. Effektiv­erotiker!  Er ward von einer Prinzessin beleckt. Da war die Liebe in ihm erweckt.  »Nicht ganz«, sagt Otto, »aber in der Nacht sind alle Katzen … Eigentlich sollten wir noch eine Runde Schnaps trinken. Wozu hat man denn einen Krankenstand?«
    Entschuldige, junger Mann, dass ich mich wieder in dein Leben einmische und noch einmal auf meinen Vorschlag mit der Gebisssanierung zurückkomme. Ich weiß, du hast deinen Stolz, und meinen Vorschlag hast du als Demütigung empfunden. Glaub mir, ich habe es nur gut gemeint! Und glaub mir, wenn ich etwas gut meine, ist das etwas anderes, als wenn deine Eltern es  nur gut meinen!  Wir gehören zusammen, auch wenn wir so weit voneinander entfernt sind. Wir sind, was deine Eltern von sich behaupten: ein Herz und eine Seele. Ich wollte es dir nur etwas einfacher machen. Ich wollte dir das elende Schmachten, das jämmerliche Passivbalzen und vor allem die schreckliche Sauferei ersparen, die gar nicht zu dir passt! Das bist ja nicht du! In drei Jahren wird es ohnehin so weit sein: Bald werden die Schmerzen anfangen. Die Höllenqualen in der Mundhöhle! Einen Zahn nach dem anderen wirst du dir im Krankenhaus extrahieren lassen, bis du endlich einen Zahnarzt findest, der dir, so jung du auch noch sein magst, deine karieszerfressenen schwarzen Zahnstummel aus dem Kiefer reißen und dir eine hübsche Prothese anpassen wird. Einen Sommer lang wirst du dadurch außer Gefecht sein. Aber eine große, eine richtungweisende Anschaffung! Der Zahnarzt wird dir statt schneeweiß winterweiß empfehlen, weil dir schneeweiß niemand abnehmen würde. Bloß ein paar Monate nach der Anpassung deines schönen, neuen winterweißen Gebisses wirst du das Mädchen kennenlernen, das du später heiraten wirst: Alice. Du wirst sie weder im Strandbad noch in einer Spelunke kennenlernen, sondern bei einem Seminar an der Universität, auch wenn ihr euch – zugegeben – im Jazz das erste Mal küssen werdet. Also brauchst du das Mädchen auch weder im Strandbad noch in einer Spelunke zu suchen. Kümmere dich lieber um dein Studium und mach dir keine Sorgen!
    Im August wird Otto mit einem Interrail-Ticket durch England (Mary!) und Schottland fahren. Im nächsten Sommer wird er nicht im Apothekenzustelldienst arbeiten, sondern beim Bau der Autobahn mithelfen, beim Bau des Autobahnstumpfs genau genommen, an den man eines Tages in ferner Zukunft eine Stadtumfahrungsautobahn anschließen wird. Ein Job für ganze Kerle, ein Job, den man mit nackten, muskulösen, braun gebrannten Oberkörpern verrichtet: gestählte, schweißnasse Oberkörper wie die der Männer in  Hombres  von Eva Santamaria, dem spanischen Song-Contest-Beitrag 1993! Ein Job, in dessen Pausen man Bier geradezu trinken muss, weniger wegen der Bewusstseinsbearbeitung, sondern wegen der Elektrolyte. Und man verdient gut. Wie beim Bau eines Hauses gibt es auch, wenn der Rohbau eines Autobahnstumpfs fertig ist, eine Gleichenfeier, und die Bauleute stellen auf den Autobahnstumpf ein mit Girlanden geschmücktes Nadelbäumchen. Und Bier. Am nächsten Tag heißt es aber wieder, im Schweiße seines Angesichts den zischend heißen Asphalt zu verrechen, bevor die Dampfwalze drüberrollt. Otto stählt sich so und so fürs Leben. Wenn der Herbst kommt, so wie Erich noch ein paar Jahre in die Hauptstadt zum Studium, dann hält Otto sein Diplom in Händen und seine Eltern strahlen. Die Sponsionsfeier führt wie nicht anders zu erwarten dazu, dass Otto neun Monate später außerdem Vater wird. Wieder eine Feier. Die Mutter seines Kindes trennt sich aber bald wieder von Otto, und er sieht seinen kleinen Sohn nur jedes zweite Wochenende. Im Winter wird er ihn in Eisschuhe stecken und über das Eis schieben wie früher Mary. Ein paar Winter später wird er seinem Söhnchen einen Eishockeystock in die Hand drücken. Nach dem Studium ist Otto in eine kleine Stadt in Niederösterreich gezogen, wo ihm ein guter Posten angeboten wurde – und man trifft sich jetzt nur noch zufällig und alle heiligen Zeiten; außerdem im Winter dann und wann auf dem zugefrorenen Teich oder im Sommer dann und wann im Strandbad. Niemand weiß mehr, wie viel es steht. Das ist so unter Erwachsenen. Achtzehn Sommer noch, von jetzt weg gerechnet. Ein verlängertes Wochenende verbringt Otto in seiner alten Heimat bei seinen Eltern, die ein Wochenendhäuschen in den Bergen gekauft
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