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Absturz

Absturz

Titel: Absturz
Autoren: Gstaettner
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haben. Er hat Freunde zu einem Grillabend eingeladen: Man will den kommenden Sommerurlaub in Griechenland planen. Man sitzt im Garten vor dem Haus, man isst, man trinkt, man raucht, man lacht, man blödelt. Gegen Mitternacht geht Otto aufs Klo, rutscht aus, findet keinen Halt, kollert in der Finsternis fast hundert Meter abschüssiges Gelände hinunter und bricht sich das Genick. Er stirbt im Krankenwagen. Du erfährst es in der Intensivstation. Otto wird neununddreißig Jahre alt.
    Während der Ausfahrten erzählt der Fahrlehrer von den Buschenschenken der Umgebung und von seinen schönsten Most- und Schnapsräuschen. Einmal holen wir in einer Übungsfahrstunde seine Frau von der Arbeit ab und chauffieren sie heim. Außerdem holen wir seinen Buben vom Kindergarten ab. Im Herbst beginnt er mit der Volksschule. Dann beginnt der Ernst des Lebens, sagt der Fahrlehrer. Seine Frau ist hässlich. Ich blicke nicht öfter als notwendig in den Rückspiegel. Wenn sie mitfährt, redet der Fahrlehrer nicht über Most und Schnaps, sondern über Kinderkrankheiten und Montessori-Klassen. So lerne ich das Spiel mit Kupplung, Gas und Bremse immer besser kennen.
    Das Gesetz schreibt für jeden Fahrschüler eine Nachtfahrt vor, und der Fahrschulleiter spannt zu jedem Termin zwei Kandidaten zusammen. Ich wähle den Montag, und das Mädchen, das im Kurs in der ersten Reihe sitzt und so auffällig nach der Schrift spricht, äußert ebenfalls diesen Terminwunsch. Gemacht. Wir sind ein Paar. »Aber dass ihr mir nichts anstellt in meinem Auto!«, witzelt der Fahrschulleiter. Die Fahrschulklasse lacht.
    Wir treffen uns bei Einbruch der Dunkelheit. Ich sitze in der ersten Stunde am Steuer und fahre einmal rund um den See. Dann wird gewechselt. Der Fahrlehrer bietet mir an, mich zu Hause abzusetzen, aber da hat er sich getäuscht. Er wird nicht allein mit Alma bleiben. »Ich habe Zeit«, antworte ich, »so lerne ich noch etwas!« Alma schmunzelt. »Du traust dich aber etwas!«, sagt sie, »ich kann für nichts garantieren.« Klingt gut. Also eine zweite Runde um den nächtlichen See, diesmal auf dem Rücksitz. Tatsächlich hat Alma nicht viel Talent zum Autofahren. Sie fürchtet sich vor jedem entgegenkommenden Auto, vor jeder Kurve und jeder Kreuzung. Ihre Verzweiflung ist entzückend. Offenbar plant sie, nach der Prüfung in ihrem späteren Leben Parklücken großräumig zu umfahren. Sie blendet ständig auf statt ab, erntet wilde Lichthupenkonzerte von entgegenkommenden Fahrzeugen, und selten schafft sie es bis in den vierten Gang. Der Fahrlehrer erzählt von einem Holländer, der fünfunddreißig Jahre lang ohne Führerschein unterwegs gewesen ist. Alma lächelt wieder. Ich nicht. Ich überlege mir, wie ich mit Alma etwas einfädeln könnte. Die Stunde wird gleich vorüber sein.
    Wir steigen aus und verabschieden uns vom Fahrlehrer. Alma steigt auf ihr Fahrrad, ich lehne mich an mein Moped. Jetzt müsste ich schnell etwas sagen. Aber was? Gleich wird sie winken und davonfahren. Wer weiß, vielleicht kommt die Gelegenheit nie wieder. Ein paar geradezu peinlich endlose Sekunden sitzen wir so schweigend da. Dann sagt Alma, seit ein paar Tagen zittere sie schon vor der Prüfung, denn sie sei so fürchterlich unsicher, vor allem beim Autofahren. Technik und Theorie, die gingen ja noch, aber die Praxis …!
    »Ja, die Praxis«, antworte ich unverbindlich weltweise, »diese Praxis! Die ruiniert einem immer alles!« Seid theoretisch bei Tage und praktisch bei Nacht!, denke ich, aber den Gedanken behalte ich bei mir.
    Am allermeisten beeindruckt mich, dass  sie  etwas gesagt hat. Jetzt finde auch ich wieder Worte, und wir plaudern vor der verlassenen Fahrschule eine ganze Stunde lang: über die Menschen, die Lokale, die Stadt, über unsere eigenen Zukunftspläne. Alma wohnt nur während der Semesterferien hier bei den Eltern. Unterm Jahr studiert sie in der Hauptstadt. Wie alle. Alle verlassen mich. Mir fällt ein Film ein, in dem die Hauptfigur, nach ihren Zukunftsplänen und Karrierewünschen befragt, antwortet: »Ich möchte später einmal Clochard werden!« Mit einer Whiskyflasche in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand am Straßenrand sitzen wie Tom Waits und auch schon dessen Stimme haben, wäre das was? Zunächst mache ich aber noch die Führerscheinprüfung, und ich werde zwischen den Vorlesungen so lange fleißig weiter Nachhilfestunden geben, bis ich das Geld für einen Gebrauchtwagen zusammengespart habe. »Das Auto ist die
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