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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss
Autoren: Amanda Hellberg
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da. Damals setzte er mir jeden Abend kalte Makkaroni vor und stellte mechanisch dieselben Fragen über meinen Schultag. Stumm saßen wir auf unseren Stühlen und taten nie, was wir hätten tun sollen. Unsere frierenden Hände über diese verdammten Makkaroni hinweg einander entgegenstrecken. Er kam mit der Ungewissheit nicht zurecht. Er konnte mir nicht einmal in die Augen schauen. Er konnte einfach nicht weitermachen, und ich wusste es, lange bevor er es selbst wusste.
    Ich unterdrückte meine Gefühle, und meine Suche geschah unbewusst, wurde ein Teil meiner Persönlichkeit. Ich suchte sie auch, wenn ich mit mir allein war. Suchte nach einer Spur von ihr in der Rundung meines Nackens. In meinen Händen. In der Form meiner Fingernägel. In meinem eigenen Blick. Im beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken. Alte Gewohnheiten lassen sich offenbar nicht so leicht abschütteln, denn ich habe noch nicht aufgehört, sie zu suchen. Nicht einmal jetzt.
    »Miss Grå? Ich bin Kriminalinspektor King. Willkommen im Vereinigten Königreich. Auch wenn der Grund Ihres Besuches natürlich bedauernswert ist.«
    Sein britischer Akzent ist so perfekt wie der Glanz seiner frisch polierten Schuhe, sein Gesichtsausdruck wirkt mitfühlend. Ich murmele ein paar schüchterne Höflichkeitsfloskeln in meinem Schulenglisch. Inspektor King nimmt meine beiden Taschen, als seien sie leer, und ich versuche mit ihm Schritt zu halten, eile mit ihm an Konditoreien vorbei, aus denen es nach Vanille duftet, an Wechselstuben und Polizisten in Uniform, die die Maschinenpistole im Anschlag haben und ihn grüßen, ihm fast unmerklich zunicken.
    Auf der Hutablage in dem blitzblanken Auto des Inspektors liegen weder Verbandskasten noch Landkarten noch Kissen, dafür mehrere dicke Bücher. Ein Larousse Gastronomique , The AA Guide to Food and Wine und der Guide Michelin . An seiner linken Hand funkelt ein Ehering aus Platin. Er spricht leise und schnell, und ich muss mich sehr konzentrieren, damit mir nichts entgeht.
    »Das hier ist ja keine richtige Vernehmung«, sagt Inspektor King und gestikuliert suchend mit der Eheringhand.
    »Es ist mehr ein informelles Gespräch. Es gibt mir die Möglichkeit, ein paar Lücken zu schließen. Und Sie erhalten Gelegenheit, Fragen zu stellen. Ich finde, wir brauchen eigentlich gar nicht zur Wache zu fahren. Sie verpassen dort nichts, glauben Sie mir.«
    Zum ersten Mal nehme ich den Ansatz eines Lächelns in seinem Mundwinkel wahr. Aber der Kriminalinspektor sammelt sich rasch, und sein Gesicht wird wieder ernst.
    »Ich finde, wir sollten zusammen zu Mittag essen, Miss Grå.«
    »Bitte, sagen Sie doch Maja. Ich weiß nicht … ich meine, okay. Danke.«
    The Black Grouse . Das Birkhuhn. Ein etwas heruntergekommener Pub mit braunem Teppichboden und, laut Inspektor King, dem besten thailändischen Essen außerhalb von Bangkok. Der Duft aus unseren dampfenden Tonschalen ist tatsächlich sehr vielversprechend, und ich merke, wie ausgehungert ich bin.
    »Sie müssen meinen Sticky Rice probieren. Dieses Lokal ist wirklich der beste Geheimtipp Brightons. Noch ein Glas Wasser?«
    Mittlerweile hat er gemerkt, dass ich weder verheult noch schockiert bin, und ist weniger förmlich. Ich halte ihm mein Glas zum Nachschenken hin.
    »Das hier würde dem Junior gefallen«, sagt mein Gastgeber und nimmt von dem grünen Curry. Seine Aussprache hat sich verändert, ist nicht mehr ganz so geschliffen.
    »Meinem Sohn«, fügt er erklärend hinzu. »Er ist erst zwei, aber kann schon ordentlich was verputzen. Ganz der Vater.«
    Zum zweiten Mal sehe ich das Fast-Lächeln Inspektor Kings, und ich lächele nun ebenfalls. Er drückt seine Papierserviette an den Mund, als müsse er seine spontane, fast unpassende Freude unterdrücken. Er will korrekt auftreten, professionell. Aber seine Mitmenschlichkeit bricht immer wieder durch. Ich ertappe mich dabei, dass ich wahnsinnig eifersüchtig auf diesen Junior bin, der einen solchen Papa hat.
    »Also, Miss … sorry, Maja. Sie wollten also nach England ziehen, um in Oxford zu studieren, als Sie die Nachricht erhielten? Habe ich das richtig verstanden?«
    Ich schlucke das Essen herunter, obwohl ich noch nicht mit dem Kauen fertig bin.
    »Das stimmt. Ich habe kürzlich die Zusage für einen Studienplatz in Kunst erhalten und war gerade mit den Umzugsvorbereitungen beschäftigt, als Sie anriefen«, sage ich. Dann lege ich das Besteck beiseite und fahre fort:
    »Ich nehme den Zug nach Oxford und beginne mein
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