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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss
Autoren: Amanda Hellberg
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Studium, sobald wir hier fertig sind.«
    Er zieht die Brauen hoch.
    »Welch ein Zufall. Und Oxford hat wirklich einen sehr guten Ruf. Sie müssen sehr begabt sein.«
    Ich rutsche verlegen hin und her und murmle so etwas wie: »Aber nein.« King trinkt einen Schluck aus seinem Wasserglas und sieht mich erneut an.
    »Wir hatten natürlich unerhörtes Glück mit dem Vermieter. Ihre Mutter hatte sich ihm anvertraut und ihm von ihrem alten Leben erzählt. So konnten wir Sie ausfindig machen.«
    Er seufzt und fährt dann fort:
    »Die Ermittlungen kommen nicht weiter. Ich will Ihnen gegenüber ehrlich sein. Wir haben fast keine Spuren. Es gab einen kräftigen Schauer, bevor wir dort eintrafen, und keiner ihrer Bekannten hatte viel zu sagen. Aber es ist aufschlussreich, mit Ihnen sprechen zu können, und zwar von Angesicht zu Angesicht.«
    »Ja. Es ist besser, das persönlich zu besprechen.«
    »Sie wirkten gefasst, als wir telefoniert haben. Ich hoffe, alles ging … so gut wie möglich?«
    »Ja, sehr gut«, antworte ich kurz. Es hat keinen Sinn, auf persönliche Befindlichkeiten einzugehen. Darauf, wie es war, seinen Großvater und seine Mutter innerhalb von zwei Wochen zu begraben. Die seit langem verschwundene, aber gerade erst ermordete Mutter.
    »Sie haben … die Tote nicht gesehen?«
    »Nein. Ich wollte nicht«, erwidere ich.
    »Ich glaube, das war die richtige Entscheidung.«
    Inspektor King schiebt seinen Teller beiseite und zupft an einem seiner schlichten Manschettenknöpfe.
    »Ihre Englischkenntnisse sind imponierend. Alle Schweden, denen ich begegne, sprechen gut Englisch. Hier in der Stadt wohnen dreitausend Schweden, müssen Sie wissen. Brighton hat immer die verschiedensten Menschen angezogen. Die Stadt ist, verglichen mit anderen Städten in England, eigentlich recht speziell. Das Nachtleben … das Meer … Meine Eltern sind aus Jamaika hierhergekommen. Hier haben Sie meine Karte. Zögern Sie nicht, sich zu melden, falls etwas sein sollte.«
    Wir schweigen, während der Mann von der Bar den Kaffee und das Dessert bringt.
    »Wann haben Sie Ihre Mutter das letzte Mal gesehen?«, erkundigt sich der Inspektor vorsichtig, nachdem der Barkeeper verschwunden ist.
    »Ich bin mir mit dem Datum nicht ganz sicher«, lüge ich. »Es ist mindestens zehn Jahre her.«
    In Wirklichkeit hat sich das Datum von Mamas letztem Tag in mein Gehirn eingebrannt. Ich erinnere mich an jedes Rezept, das sie mir in dieser verhängnisvollen letzten Woche beibrachte. An die ungleichmäßigen schwarzbraunen Linien, die sich mir eingeprägt haben wie kleine schwelende Wunden, an jeden von ungelenker Kinderhand gemalten Buchstaben und jede Ziffer.
    »Und Sie hatten keine Ahnung, wo sie in all diesen Jahren war? Sie hatten keinerlei Kontakt?«
    »Nein. Irgendwann wurde sie dann ja für tot erklärt.«
    Er betrachtet seine Kaffeetasse mit akribischer Genauigkeit.
    »Und Ihr Vater starb also, als Sie zwölf waren? Vor fast acht Jahren?«
    Ich rühre in meinem erkaltenden Kaffee, bevor ich antworte.
    »Ja. Er … kam damit irgendwie nicht klar.«
    King schweigt eine halbe Minute und nickt dann bedächtig. Mein Mangosorbet schmeckt nach Pappe, aber ich esse es trotzdem, fast mechanisch. Dann räuspert er sich.
    »Ich frage mich … Hat es Sie erstaunt, was ich kurz am Telefon erwähnt habe? Dass Birgitta hier als Prostituierte gearbeitet hat?«
    Ich stelle die leere Dessertschale ab und bemühe mich, mit fester Stimme zu sprechen.
    »Es gibt nicht viel, was mich an meiner Mutter noch erstaunen würde.«

2. Kapitel
    Brightons Pier ist ein riesiger Steg auf großen Stelzen, der geradewegs ins Meer hinausführt. Der Strand besteht aus Bergen kleiner runder Steine, die mit Grillbriketts und Sektkorken vermischt sind. Die Ebbe hat die riesigen Wassermassen zurückweichen lassen und einen weichen Sandstreifen freigelegt, in dessen Pfützen sich der violett-rosa Horizont spiegelt.
    Zu den Zeiten, als die Fabrikarbeiter Londons einen einzigen Tag Sommerferien hatten, gab es einen offenen Schienenbus vom Bahnhof in Brighton zum Ende des Piers. Ich schließe die Augen und sehe gestreifte Liegestühle, Strohhüte und magere Kinder, die Eis von funkelnden Löffeln schlecken, vor mir.
    Am Ende des Piers stehen heute wie damals die Karussells. Ein gleichermaßen erbärmliches wie entzückendes Bollwerk zu Ehren des Übermuts. Tausende bunter Glühbirnen blinken, allerdings nicht im Takt der Diskomusik.
    Something in the way you love me
    won’t let me
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