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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss
Autoren: Amanda Hellberg
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gestellt. Dieses Mal handelt es sich um eine wirkliche Person, die mir etwas zu nahe kommt. Ich drehe den Kopf zur Seite.
    »Er ist … super … oder?«
    Der Typ ist wahnsinnig mager und riecht ungewaschen.
    »Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
    Ich versuche reserviert zu klingen, ohne direkt unhöflich zu wirken.
    »Er ist super, oder?!«
    Der Typ nickt in Richtung Bühne.
    »Stimmt«, lächele ich verbissen.
    »Du bist nicht von hier, was?«
    »Nein. Ich bin aus Schweden.«
    »Da sieh mal einer an, eine Schwedin! Willkommen in der Hercules Bar!«
    Er breitet die Arme aus und ist so stolz, als seien wir im Tadsch Mahal und als habe er den ganzen Kasten mit eigenen Händen gebaut.
    »Danke. Ich bin hier, um …«
    »Was? Was hast du gesagt?!«
    Widerwillig nähere ich mich seiner pockennarbigen Wange, atme durch den Mund und hole Anlauf.
    »Meine Mutter. Sie soll Stammgast hier gewesen sein. Sie ist unlängst gestorben.«
    Mehr kann ich nicht sagen, da wirft er sich mir schon um den Hals und stößt einen Schrei aus, der sogar die übersteuerte Musik übertönt.
    »Birgittas Tochter! Birgittas Tochter!«
    Als er mich loslässt, um mein Gesicht näher in Augenschein zu nehmen, sehe ich, dass ihm Tränen über die Wangen laufen.
    Der Tisch neben der Tür der Hercules Bar ist mit Biergläsern, leeren Erdnusstüten und, trotz des Rauchverbots, mit überquellenden Aschenbechern übersät. Tracey und ich erheben uns, um abzuräumen, damit Sonia die nächste Runde servieren kann. Ich habe mehrere Male versucht zu bezahlen, aber das kommt offenbar nicht in Frage. Der Kreis aus Hockern reicht mittlerweile fast bis zum Tresen. Wir sind mindestens fünfzehn Personen, und es fällt mir schwer, mich an die Namen aller zu erinnern, die mich umarmt, mir die Hand gedrückt und mich auf ein Bier eingeladen haben. Die drei stämmigen Frauen bilden den Kern. Sie brüllen die andern an, die Schnauze zu halten, wenn zu viele gleichzeitig reden. Obwohl ich mehrere Liter Bier getrunken habe, bin ich seltsam klar, und mein Englisch wird immer flüssiger.
    »Sie war ein Star, deine Mom. Nur dass du das weißt. Ein echter Star.«
    Sonia hebt ihr Glas und fordert dazu auf, ein weiteres Mal anzustoßen.
    »Cheers! Auf Birgitta.«
    Ich erhebe mich, um auf die drei Frauen zuzugehen, aber sie drückt mich auf meinen Hocker.
    »Pst! Sitzenbleiben. Pauline singt jetzt. Sie singt für dich und deine kleine Mom.«
    Pauline ist die kräftigste, schüchternste und vielleicht auch hübscheste von den dreien, obwohl ihre Oberarme dicker als Baumstämme sind und Streifen haben, wo das Bindegewebe schwach ist. Zwei Männer wuchten sie auf die Bühne. Jemand dreht den einzigen Scheinwerfer in die richtige Richtung. Im ganzen Lokal wird es still. Als Pauline den Mund öffnet und beginnt, stellen sich auf meiner Haut alle Härchen auf. Sie singt »Somewhere over the rainbow« ohne Begleitung, mit unglaublich tiefer und gleichzeitig elfenzarter Stimme. Zum ersten Mal, seit ich die Todesnachricht erhalten habe, laufen mir die Tränen über die Wangen. Ich unternehme nichts dagegen.
    »Maja, sei so lieb, pass auf die Tür auf. Das Schloss funktioniert nicht.«
    Ich halte die Tür von Traceys Toilette mit dem Fuß zu. Dahinter rauscht es wie der Niagarafall.
    »Du, Tracey, darf ich dir eine persönliche Frage stellen?«, will ich durch die geschlossene Tür wissen.
    »Klar. Schieß los.«
    »Hast du denselben Job wie Birg… wie Mom?«
    Ihr entringt sich ein leises, trauriges Lachen.
    »Nun ja, das kommt schon mal vor. Wenn mein Ex seinen Unterhalt nicht rechtzeitig zahlt und die Kinder was brauchen, du weißt schon. Fahrrad, neue Turnschuhe. Mit anderen Worten, ein paarmal im Monat.«
    Sie stößt ein freudloses »Ha« aus, und ich bohre weiter.
    »Hattet ihr dieselbe … Kundschaft?«
    »Garantiert nicht!«
    Die Wasserspülung ist zu hören, und Tracey öffnet die Tür.
    »Ich nehme meist Typen aus dem Ort, solche, die ich schon lange kenne. Deine Mom war anders … Hübsch und außerdem … Sie sah einfach gut aus. Wie du.«
    Es ist nicht das erste Mal, dass jemand auf diese angebliche Ähnlichkeit zu sprechen kommt.
    »Verdammt, nichts Böses über die Toten, aber Birgitta war … ehrgeiziger als wir. Oder wie man es auch nennen mag.«
    Sie wäscht sich die Hände und reibt sie am Hosenboden trocken.
    »Wie meinst du das, Tracey?«
    »Glaubst du, es ist leicht, darüber zu sprechen? Noch dazu mit ihrer eigenen Tochter? Mein Gott! Irgendwie war sie so
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