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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss
Autoren: Amanda Hellberg
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frei, sie konnte in andere Städte reisen. Und sie machte auch … Specials. Mehr Geld, größeres Risiko. So komische Sexspielchen. Du verstehst schon. Echt harte Nummern. Komm schon, ich brauche einen Schnaps. Oder zwei.«
    Ich nehme Traceys fleischige, weiche Hand, ziehe sie etwas näher zu mir heran und senke die Stimme.
    »Wer, glaubst du, war es, Tracey?«
    »Das weiß der Teufel. Meinst du etwa, wir fragen uns das nicht? Irgendein Verrückter, davon geht doch wohl auch die Polizei aus. Es gibt so viele Menschen, die nicht richtig im Kopf sind. Er kann nicht ganz bei Trost sein. Stell dir vor, welches Risiko. Pauline und ich sind doch eine Minute später denselben Weg entlanggegangen.«
    Tracey verstummt. Sie zieht ein zerknülltes Papiertaschentuch aus der Tasche, schnäuzt sich gründlich und fährt dann fort:
    »Den Anblick werden wir unser Leben lang nicht vergessen.«
    Ich werfe einen Blick in den Spiegel, und es schaudert mich.
    »Habt ihr denn jetzt keine Angst? Ich meine, wenn ihr abends ausgeht? Mit so einem Verrückten in Brighton?«
    Tracey zuckt mit den Achseln.
    »Wir halten zusammen, gehen in Gruppen aus. Birgitta hätte nicht gewollt, dass wir ihretwegen Angst haben und zu Hause versauern.«
    »Du glaubst also nicht, dass es jemand war, den sie kannte?«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
    Ein Verrückter. Welches Risiko!
    Mamas Freunde lassen mich nur widerwillig gehen. Ich lehne es ab, mich von einer männlichen Eskorte zurück zum Hotel bringen zu lassen.
    Ich muss allein sein, muss in mich hineinlauschen. Ich habe die Taschen voller ausgefranster Zettel, Handynummern und E-Mail-Adressen, von denen ich weiß, dass ich sie nie verwenden werde. Die Nachtluft ist überraschend mild. Der Wind hat nachgelassen, und eine Wolkendecke breitet sich über die Stadt. Das Bier hat mir die schlimmste Angst genommen, und ohne zu begreifen, wie es zugegangen ist, stehe ich plötzlich am Tatort.
    Wieder platziere ich mich so, wie ich glaube, dass sie gestanden hat. Eine Hand am Geländer, in Richtung Land spähend, auf die hingeduckten viktorianischen Häuser hinter der Strandpromenade. Eines dieser winzigen Lichter war Mamas Zimmer. Sie ließ immer eine Lampe im Fenster brennen. Ich weiß das einfach, ohne zu verstehen oder mich zu fragen, wie ich das wissen kann. Es ist einfach netter, nach Hause zu kommen, wenn eine kleine Lampe brennt. Es ist dann nicht so trostlos. Ich spüre meine Lider brennen und schließe die Augen, in der Hoffnung, dass mir nicht wieder die Tränen kommen.
    Plötzlich erfasst mich ein stechender Schmerz im Unterleib. Ein eisiges Feuer genau über dem Schambein, das nun durch meinen Körper nach oben rast, mir das Zwerchfell durchtrennt. Ich krümme mich, lasse das Geländer los und umklammere mit beiden Armen meinen Leib. Mein Kopf wird nach hinten gebogen, meine Kehle brennt. Ein Gefühl der Atemnot und dann etwas Warmes, das mir die Brust herunterströmt.
    Ich reiße den Mantel auf und berühre meinen Hals. Nichts. Ich schnappe nach Luft. Aber nach nur wenigen Sekunden lässt die Anspannung nach, und ich kann mich vorbeugen, die Stirn auf das kalte Geländer legen. Ich atme keuchend und stoßweise, umklammere wieder meinen Leib. Nichts. Ich bin okay. Ich kann stehen, sogar gehen, das merke ich, als ich ein paar schwankende Schritte auf den erleuchteten Durchgang zwischen den Autoscootern und dem im Dunkeln liegenden Karussell zugehe. Die Holzpferde sind mitten im Sprung erstarrt.

3. Kapitel
    Ich checke aus meinem kleinen Hotelzimmer aus, stelle die beiden Reisetaschen in der Lobby mit der geblümten Tapete unter und gehe am Wasser entlang zu Mamas möbliertem Zimmer, das ich mit schwarzem Kugelschreiber auf meinem Reklamestadtplan eingezeichnet habe.
    Das Meer hat an diesem Morgen frischen Tang angespült, Möwenschreie erfüllen die Luft. Ich komme an einst prächtigen, aber heruntergekommenen Fassaden in zuckrigen Pastelltönen vorbei, die mich an Hochzeitstorten mit rissigem Guss erinnern. Ich werfe einen Blick in eine grandiose Prachtstraße, von der enge, kopfsteingepflasterte Gassen und mittelalterliche Durchgänge in das Herz von Brighton führen. Ich sehe funkelnde Wogen. Touristen, die, trotz Herbstwetter, zuversichtlich Sommerkleidung tragen. Und einen goldenen Lichtstreifen über dem Ärmelkanal.
    Ein Teil von mir kann verstehen, dass sie hier leben wollte. Und irgendwie ist sie immer noch da. Ihr Spiegelbild flimmert zwischen Tüll und Schwanenfedern in dem
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