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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss
Autoren: Amanda Hellberg
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kann die Pförtner noch so sehr drängen, wie die frechen Kinder auf Klassenfahrt aus den Londoner Vororten das tun, oder noch so nett bitten, wie die japanischen Damen es versuchen. Das Ergebnis bleibt immer dasselbe. Nichts zu machen.
    Und die Geladenen – die Wunderkinder und die unglaublich ehrgeizigen Normalbegabten, die Präsidententöchter und Elitesportler – erwartet hinter den uralten Holzportalen eine Lektion in aufgeblasenem Selbstbewusstsein.
    »Wir sind die Auserwählten. Wir gehören zur Oberschicht. Vergiss nie, wer du bist oder wo du dich befindest. Du und die deinen, ihr sollt die Welt führen.«
    Aber dort wartet auch heimliche Unterdrückung. Durch das atemberaubende Studientempo, durch das vermeintliche Können der Mitstudenten und durch die strengen Vorbilder verstorbener Premierminister, Prinzen und Poeten. Eine unterschwellige, stumme Unterdrückung, die zwar zu weltbewegenden wissenschaftlichen Errungenschaften, erstklassigen Qualifikationen und glänzenden Karrieren führen kann, aber auch zu Paranoia, Plagiat und persönlichem Ruin.
    Es gibt unverhältnismäßig viele Läden für Faschingskostüme, vergoldete Masken und Theaterdolche, was auf den ersten Blick auf studentische Verspieltheit schließen, aber auch in Oxfords infantile und dunkle Abgründe blicken lässt. Das Bedürfnis, sich auf primitive Weise abzureagieren, der Wirklichkeit zu entfliehen.
    Aber davon weiß ich nichts, als ich aus dem Zug steige und meinem in Tweed gehüllten Mitreisenden dafür danke, dass er mir die Reisetaschen herausgehoben hat. Oxford. »Die Stadt der träumenden Türme«, steht in der zerfledderten Broschüre in meiner Manteltasche. Ich spüre die beißende Kälte auf den Wangen. Im Hinterland ist es spürbar ungemütlicher. Jetzt bin ich hier. Jetzt bin ich am Ziel.
    Das Taxi fährt an einem Rundbau mit einem wie eine Sternwarte gewölbten Dach vorbei. Ich sehe ein paar Skulpturen hinter dem schmiedeeisernen Zaun vorbeihuschen. Sie wirken mittelalterlich. Große Männerköpfe mit wütend aufgerissenen Mündern. Einige Touristen in Begleitung eines Stadtführers stehen davor. Sie deuten mit den Händen darauf und fotografieren. Das Taxi bremst vor einem majestätischen Portal in einer mehrere Meter hohen Mauer.
    »Well, well, well … mal sehen. Hier haben wir Sie. Miss Maja Grå. Sie wollen also Buchillustration studieren, Sie Glückliche.«
    Die Dame mit dem perlgrauen Haar blinzelt über ihre Halbbrille, schaut wieder auf ihre Papiere und nickt freundlich.
    »Dieser Studiengang ist wirklich sehr beliebt, und nicht viele bekommen einen Platz. Sie werden Oxford lieben. Professor Chesterfield ist einmalig.«
    »Danke, ich freue mich wirklich darauf.«
    »Ich sehe hier gerade, dass Sie in einem der Studentenheime in einem Doppelzimmer untergekommen sind, wussten Sie das schon? Mill Creek Manor.«
    »Oh, vielen Dank. Welch eine Erleichterung, das wusste ich nicht. Ich bin vorher noch etwas hier in England gereist und … also, vielen Dank!«
    »Bei mir brauchen Sie sich nicht zu bedanken«, lächelt die Sekretärin. »Sie waren vermutlich so gewissenhaft, rechtzeitig genug Ihr Interesse zu bekunden. Mill Creek Manor ist nicht das älteste Studentenheim in Oxford. Hier wohnen erst seit etwa zweihundert Jahren Studenten. Dafür verfügt es aber über allen modernen Luxus und einen wunderbaren Garten. Eine Cafeteria gibt es auch, in der recht anständig gekocht wird, habe ich mir sagen lassen.«
    »Kann man auch selbst kochen?«
    »Ja, ich glaube, es gibt eine Kochplatte. Die andere Studentin ist bereits eingetroffen«, sagt sie und schaut in ihr großes Buch.
    »Irgendwas mit Fernando … Sie ist im selben Studiengang wie Sie. Vermutlich wohnen Sie deswegen in einem Zimmer. Haben Sie viel Gepäck?«
    Ich muss an diese andere Studentin denken. Eine Fremde. Im selben Zimmer?
    »Doch, schon, es ist so einiges.«
    »Dann rufe ich Raymond an. Er holt Sie mit dem Auto ab. Er ist Chef-Hausmeister im Mill Creek Manor. Hier in Oxford kümmern wir uns um unsere tüchtigen Studenten.«
    Das merke ich, denke ich.
    »Die ältesten Teile von Mill Creek Manor stammen aus dem 17. Jahrhundert«, erzählt Raymond. »Aber davon ist nicht mehr viel zu sehen, nur noch die Reste eines kleinen Steinhauses. Das meiste wurde um 1870 errichtet.«
    Wir machen einen Rundgang, ein kleiner, zu feuchter Garten mit Wiesenblumen wird von Gebäudeflügeln aus gelbem Granit und einem kleineren Hauptgebäude mit Türmchen und
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