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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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und ob sie die vorüberschiffenden Männer nur mit ihrem Jesang und mit sonst nuscht anlockten, möchte ich dahinjestellt sein lassen. Eins steht fest, daß es solche Sirenen, oder wie man sie auch nennen will, immer jejeben hat, jibt und je-ben wird. Nur, daß sie heutzutage nicht mehr auf Meeresklippen liejen, sondern ihr Jewerbe auf die Straßen verlegt haben. Nüchtern würde man so was nicht mit der Feuerzange anfassen, aber mit einem Trank im Leibe sieht man Helena in jedem Weibe. Das stammt nicht von mir, sondern von Joethe - und der scheint es jewußt zu haben.« »Nun«, fuhr er nach einer kleinen Weile fast begütigend fort, als wolle er uns nicht alle Lust rauben und auch nicht zu sehr erschrecken, »so, wie nicht jedes Schwein Trichinen und wie nicht jeder Hund Würmer hat, so muß auch nicht jleich jede von diesen Damen mit Spirochäten oder Gonokokken behaftet sein. Aber wenn es doch mal passieren sollte und ihr beim Wasserlassen ein Brennen spürt oder auf der Haut einen merkwürdijen Ausschlag entdeckt, dann keine falsche Scham, Jungens! Sondern zum Arzt! Sofort zum Arzt! Wollt ihr mir das versprechen?«
    »Jawoll, Herr Professor!« schrie die Klasse im Chor.
    So erhielten wir also neben drei auswendig gelernten Oden des Horaz, Geschichtskenntnissen bis zum Ausbruch der Französischen Revolution, dem Gebrauch des Aorist und anderem nützlichem Wissen vom alten Vogel auch noch eine gründliche sexuelle Aufklärung und die Ermahnung zur Mäßigkeit als Rüstzeug für unseren späteren Lebensweg mit. Wir konnten auch die Grabrede des Antonius auf englisch deklamieren, aber die nützte mir in London recht wenig, als mir der Kellner im Hotel Imperial die Speisekarte reichte. Immerhin blieb der Trost, in dreizehn Schuljahren durch die lateinische Syntax denken gelernt zu haben. -
    Was ich von dem Wiedersehen mit Königsberg am ungeduldigsten erwartet hatte, war das Schauspielhaus unter der Leitung von Leopold Jessner. Leider teilte keiner von den neu gewonnenen Freunden meine Theaterleidenschaft. Helmut Dietrich schwärmte für die Oper, hauptsächlich für Wagner, und Arthur Krehwald für Bach. Er hatte seine Liebe zur Musik ziemlich spät entdeckt, obwohl er aus einer musikalischen Familie stammte, denn sein Vater war Dom-Organist. Was er in frühen Jahren versäumt hatte, holte er spät nach und holte es auch auf.
    Seine Banknachbarn rechts und links, Kurt Wiersbitzky und Benno Schereschewski, brachte er durch seine unausgesetzten stundenlangen Fingerübungen - er nannte das Trockenklavier- ebenso zu Tobsuchtsanfällen wie unsere Professoren. Wenn er die brillanten Läufe über die imaginäre Klaviatur gezwungenermaßen für eine Weile unterbrach, dann drückte er die Finger gegen die Tischplatte, daß sie senkrecht zur Handwurzel standen, oder zog, um sie geschmeidig zu halten, die Finger unter scheußlichen Knackgeräuschen lang. Konrad Rudowski konnte sich allenfalls für die Operette erwärmen. Aber selbst ihm gegenüber, mit dem mich bald eine enge Freundschaft verband, hielt ich mit Äußerungen über meine abwegigen Zukunftspläne zurück, als ich merkte, daß seine Vorstellungen über Theaterleute durchaus den Auffassungen entsprachen, mit denen man darüber in Mehlauken dachte, wo die Wäsche von der Leine genommen wurde, wenn dort eine Wanderbühne ein Gastspiel gab.
    Von Vater bezog ich als Taschengeld in der neuen Währung zwei Mark pro Woche. Großmutter erpreßte ich, zuweilen mit dem alten Trommelrevolver an der Schläfe, schamlos.
    »Aber Jungchen, fünf Mark ist zuviel, zwei will ich dir geben...«
    »Oma, du spielts mit dem Leben deines Enkels! Fünf Mark oder ich drücke ab!«
    Zum Schluß einigten wir uns dann gewöhnlich auf drei. Und dann gab ich noch einem kleinen Hornochsen vom Hufengymnasium Nachhilfestunden in Latein, dreimal in der Woche, die Stunde für eine Mark - bar bezahlt. So kam ich zu Theaterkarten, so zu den Moneten für die Bierchen bei Julius Naser im Börsenkeller, und so bestritt ich auch die Ausgaben für den Comment Olymp. Aber woher sollte ich die fünf Mark nehmen, die mir Herr Franken allwöchentlich für eine Stunde Sprech- und Schauspielunterricht abknöpfte. Nach einer Sonntagnachmittag-Aufführung von Flachsmann als Erzieher, in der er als zweite Besetzung den Flachsmann spielte, faßte ich mir ein Herz, ihn in seiner Garderobe aufzusuchen. Ich hatte sie mir etwas pompöser vorgestellt, aber das Kabuff roch hinreißend nach Theater. Er schminkte sich ab
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