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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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Aber es war nicht das verletzte Selbstgefühl, das mich nie wünschen ließ, jene schönen Tage, jene Tag’ der ersten Liebe, ja nur eine Stunde jener holden Zeit wieder zu erleben. Es war die Schule, und es war die verdammte Mathematik, die mich bis ins Alter hinein mit Angstträumen verfolgte. Es versetzt mich immer wieder in Erstaunen, wenn ich in den Pennal-Mitteilungen, die mich erreichen, lese, mit welcher liebevollen Verehrung man sich dort an die alte Schule und an die Herren vom Lehrkörper erinnert. Damals, als man drin saß, hörte man andere Laute. Aber ich zolle dieser Liebe und Verehrung meinen aufrichtigen Respekt. Dennoch weiß ich nicht recht, ob es damit nicht etwas Ähnliches auf sich hat wie mit einer überstandenen Appendizitis oder Magenresektion. Es scheint nichts Schöneres und nichts Unterhaltsameres zu geben als die Erinnerung an vergangene Leiden. -

    Vielleicht war es die Nähe der Magisterstraße mit ihren schrägen russischen Fürstinnen, die unsern Chef veranlaßte, uns durch Professor Vogel im letzten Schuljahr in einer Sonderstunde Aufklärungsunterricht geben zu lassen. Vogel war Naturwissenschaftler und erteilte Biologie-Unterricht. Der alte Herr war ein Original. Klein, rund, rosig und humorbegabt, mit einem Kranz schneeweißer Haare um die gewaltige Glatze, sprach er nur breitestes Ostpreußisch, auch wenn er vor großem Publikum populärwissenschaftliche Vorträge hielt. Sie waren stets bis auf den letzten Platz ausverkauft. - Zur Aufklärungsstunde brachte er zwei Rollbilder mit, die er an die Wand hängte. Auf dem einen Schaubild schlängelte sich riesenhaft vergrößert eine bleiche Spirochäta pallida über die Leinwand, und das andere zeigte eine blaue Gonokokkentraube.
    »Na, Jungens«, fragte er und deutete mit dem Daumen hinter sich, »was habe ich euch da wohl Schönes mitjebracht?«
    »Vielleicht Pantoffeltierchen, Herr Professor?« riet Konrad Rudowski mit dem einfältigsten Gesicht, das er aufsetzen konnte.
    »Nu ja - aber mit Pantoffeln haben die Tierchen eijentlich nur sehr indirekt zu tun. Denn wenn man mit denen in Beriehrung kommt, hat man die Pantoffeln in den meisten Fällen ausjezogen. Also - was da wie Trauben an der Wand hängt, sind Gonokokken, nach denen die Koggenstraße am Gesekusplatz im Volksmund alljemein Gonokokkenstraße jenannt wird. Und wißt ihr, weshalb?«
    »Nein, Herr Professor, weshalb denn?«
    »Dann will ich es euch verraten. Weil nämlich die Damen dort lustwandeln, von denen man diese Dingerchen für drei Mark zum verbillichten Engros-Preis beziehen kann. Das sind nämlich die Erreger der Gonorrhöe, auch Tripper genannt.«
    Wir sahen uns die Dingerchen mit ehrfürchtigem Staunen an.
    »Das sind vielleicht gewaltige Tierchen!« sagte der Monska.
    »Und du bist mir vielleicht ein jewaltijer Dämlack!« sagte der alte Vogel. »Denn was ihr hier seht, seht ihr in zehntausendfacher Verjrößerung. Ebenso wie die Spirochäta pallida, die Erregerin der Lues oder Syphilis. Daher die alte Studentenfrage: Ist es Kummer, was dich bleicht, oder ist es Sy vielleicht? Aber nun sagt mir doch, woran der Anblick euch erinnert, na? na? na?«
    »An einen Korkenzieher, Herr Professor!«
    »Bravo, Jungchen! Jenau an einen Korkenzieher. Und da sind wir denn auch schon beim richtijen Stichwort anje-langt. - Ihr sauft doch alle jern, nicht?«
    Der Lischewski schüttelte entschieden den Kopf.
    »Also schön, mit einijen Ausnahmen. Aber wie steht es mit den Herren vom Comment Olymp?«
    »Was ist denn das, Herr Professor?« fragte der Grieseier, der die Statuten verwahrte und die Kneipzimmer für unsere Gelage bestellte.
    »Ihr haltet mich wohl für mächtich dämlich, was?« fragte der alte Herr, »aber das ist mir auch völlig wurscht. Jedenfalls, als ich dabei war, haben wir wie die Bürstenbinder jesoffen. Und wenn jetzt einer von euch denkt, aha, daher hat der Alte die rote Neese, dann irrt sich dieser! Das ist ein Frostschaden. - Womit aber keineswegs jesagt sein soll, daß ich mir keinen mehr zur Brust nehme. Aber - und jetzt kommt das große Aber - ich hör auf, wenn’s zu schmecken anfängt. Und das ist jenau das, was ich auch euch dringend anempfehlen möchte. - Ihr kennt doch das Dichterwort: Jlücklich leben die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber. - Wenn es bei den Menschen auch so wäre, hätte der Odysseus seinen Jefährten die Ohren nicht mit Wachs zu verstopfen brauchen, als er mit ihnen an den Sirenen vorüberfuhr. Was das für Sirenen waren,
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