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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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und war nicht in allerbester Laune.
    »Ich soll Ihnen also Sprechunterricht geben?« dröhnte er mit dem Timbre der Adele Sandrock und sah mich aus fettverschmierten Wimpern an. Die rote Flachsmann-Perücke hing über einem hölzernen Haubenstock auf dem Schminktisch. Er grinste mich an und setzte das Gespräch, leicht berlinernd, im normalen Umgangston fort: »Warum eigentlich nicht? Wat wollense denn zahlen?«
    »Das wollte ich Ihnen überlassen, Herr Franken...«
    »Na, denn sarenwermal: pro Stunde zehn Eierchen, wie?« Mir wurde der Hals eng, und ich schluckte schwer. »Zuviel, wat? Was sindse iebahaupt und woran hamse jedacht, junga Mann?«
    »Ich bin noch Primaner. Und gedacht habe ich an fünf...« »Jut, denn also fünf. Jebense her und kommense morjen um drei in meine Burg. Sie wissen, wo ich wohne?«
    »Weißgerberstraße 14...«
    Ich hatte nur drei Mark und fünfzig Pfennig dabei. Er nahm sie als Anzahlung: »Den Rest morgen. - Aber damit Sie für Ihr sauer Erspartes gleich etwas haben: werrrfen Sie Ihrrr Zäpfchen-R in den Prrrregel und benutzen Sie fürs R die Zunge. Wiederholen Sie unaufhörlich voddedom -voddedom - voddedom -, bis ein klares und deutliches >Vor Rom< daraus wird. Damit werden Sie vier Wochen lang zu tun haben. Und dann werden wir gemeinsam an Ihren weiiichen Eiiiern arbeiten. Sie wollen doch mal den Hamlet spielen? Oder etwa nicht?«
    Ich nickte zaghaft...
    Er erhob sich und griff als Ersatz für den Schädel nach dem Haubenstock mit der lodernden Flachsmann-Perücke: »Sein oder nicht sein… Lieber Freund, wenn Sie das auf ostpreußisch bringen, dann können Sie sich Ihr Abendessen in Gestalt von faulen Äpfeln und Tomaten von der Birne schaben. - Aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin.«
    Er gab sich wirklich mit mir Mühe, so wie ich mir Mühe gab, allwöchentlich sein Honorar zusammenzukratzen. Aber wir kriegten es nicht hin, wie er leichtfertig gemeint hatte. Länger als ein Jahr plagte er sich mit mir ab und traktierte mich aus seinem reichen Erfahrungsschatz mit Vokalübungen wie >Anna saß im Garten und aß Salat< und >Weiß gekleidete Waisenkinder feiern Weihnacht«, aber abgesehen davon, daß mir trotz unabläßigen Übens mit dem Voddedom das Zungen-R nicht von der Zunge rollen wollte, schlich sich das weiche ostpreußische Ei sogar in die Weiiisenkinder hinein.
    Zu dieser Zeit gastierten gerade Paul Wegener und Fritz Kortner mit Neumanns Patriot in den Rollen des Grafen Panin und des Zaren Peter im Schauspielhaus. Unvergeßlich die Szene, in der Kortner, angstvoll auf Wegeners Schoß geflüchtet, dem Marschtritt eines vorüberziehenden Regiments lauschte und mit einem Sektglas im schlaffen Arm den Marschrhythmus am Boden mitklingen ließ, mit zirpenden Kristalltönen, die dennoch bis in die letzten Parkettreihen eines atemlosen Publikums drangen. Franken spielte in dem Stück eine winzige Nebenrolle.
    »Ja, gewiß, Herr Franken, Sie haben ja recht, aber Paul Wegener merkt man doch auch den Ostpreußen an.«
    »Tcha«, gab er zu, »aber der ist auch der einzige, der sich das leisten kann. Aber laß den Kopf nicht gleich hängen, mein Junge. Du hast eine komödiantische Ader, das steht fest. Damit könntest du es, wenn es für die Bühne auch nicht ganz langt, und wenn du durchaus Theaterluft atmen willst, bis zum Intendanten bringen - und das ist nicht der schlechteste Posten...«
    Ich ließ den Kopf trotz seiner ermutigenden Worte hängen und schlich mit dem Gefühl, einen Traum begraben zu müssen, auf die Straße. Mit Mittelmaß war auf den Brettern, die auch mir die Welt bedeuteten, nicht viel zu erreichen. Das Beispiel hatte ich bei Franken vor Augen. Er wohnte bei der Witwe eines Postsekretärs, die ihm für die äußerst bescheiden möblierte Bude zwanzig Mark abnahm, Frühstück inklusive. Mein Zuschuß von fünf Mark pro Woche zu seiner Gage schien ihm hochwillkommen zu sein. Ich hatte mir das Künstlerleben etwas lukrativer vorgestellt..
    Es war ein warmer Septembertag mit einem golden getönten Himmel, der sich im Westen, wo die Sonne schon hinter die hohen Bäume des Börsengartens gesunken war, apfelgrün verfärbte. Die Boote auf dem Schloßteich kehrten zu den Anlegeplätzen neben der Holzbrücke zurück, und den grünen Spiegel des Teiches zerschnitten nur noch die Schwäne. Ich hatte mitten auf der Brücke haltgemacht, eine Zigarette angezündet und starrte, in ziemlich trübe Gedanken versunken, zu den Logengärten hinüber. Und dann knuffte mich
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