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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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sich eisern an die vorgeschriebenen Rationen hielt. Und die gab es auf Marken. Bis tief ins zweite Kriegsjahr hinein zehrte er vom eigenen Speck und sah immer noch recht stattlich aus. Aber als dann der Rübenwinter begann, war es mit dem Eigenverzehr aus. Er verbrauchte von seinen zweieinhalb Zentnern die gute Hälfte und rutschte jämmerlich zusammen.
    Anna, unsere Perle, hatte uns verlassen und ihren einbeinigen Maurermeister geheiratet; das andere Bein hatte er gleich zu Anfang des Krieges in der Masurenschlacht verloren. Nun war auch mein Bruder Ernst bei Cambrai gefallen, meine Schwester Else hatte ihren uk-gestellten Richard geheiratet, und Lotte saß als Lehrerin in Sonnenborn auf dem Lande. Wir waren nur noch zu dritt, ein verlorenes Häufchen in der viel zu groß gewordenen Wohnung. Der Gedanke, die Freunde Rudi und Helmut Gutbrod durch einen Umzug in einen weit entfernten Stadtteil zu verlieren, war schmerzlich genug, weit schmerzlicher aber wäre der Verlust von Opa Gutbrods Obstgarten und von Omas Hühnern gewesen, denen wir die Eier noch warm unterm Hintern wegstibitzten und heimlich austranken. Sie konnte es einfach nicht verstehen, daß ihre Hühner bei dem guten Futter so miserabel legten. Aber mir stand das Glück zur Seite. Vater fand am Ende der Tiergartenstraße, genau zehn Hausnummern weiter, eine Dreizimmerwohnung mit Loggia und einer winzigen Mädchenkammer neben der Küche, die ich beziehen durfte. Mehr als ein schmales Bett und ein Nachttischchen gingen allerdings nicht hinein, aber ich war selig, zum erstenmal ein eigenes Nest zu besitzen, in dem ich nachts ungestört schmökern konnte. Ein Lichtanschluß war zwar nicht vorhanden, aber mir genügte der schwache Schimmer eines jener >Hindenburglichter<, die damals gerade aufkamen und an Sparsamkeit nicht zu übertreffen waren, völlig zu meinem Glück.
    Das Haus an der Ecke Tiergarten-/Simpsonstraße gehörte der Witwe Kallweit, die mit ihrer einzigen Tochter im Parterre wohnte. Sie war eine walkürenhafte Frau von üppigsten Formen, die sie während der ganzen Hungerjahre behielt, denn sie stammte aus dem Ermland, sprach dessen unverfälschten Dialekt und schien gute Verbindungen zu einer reichen Bauernverwandtschaft zu besitzen. Sie rauschte stets in schwarzen Taftgewändern daher, während ihre weit zierlichere Tochter, ein ältliches Mädchen, das Frau Kallweit seit Jahren und Jahren vergeblich unter die Haube zu bringen versuchte, in ihrer Taftkleidung lila Farbtöne bevorzugte. Beide Damen puderten sich so stark, daß man meinen konnte, sie tunkten die Gesichter mehrmals am Tag in eine Schüssel voll rosa Reispuder.
    Sparsam wie Vater nun einmal war, ließ er den Umzug nicht durch eine Spedition besorgen, sondern mietete ein zweispänniges Fuhrwerk. Der Besitzer war eigentlich Droschkenkutscher und betrieb das Fuhrgeschäft nur nebenbei. Seine guten Pferde hatte das Militär beschlagnahmt, und die verbliebenen waren zwei alte, müde Kraggen, die sich nur mühsam auf den Beinen hielten. Leute hatte er natürlich auch nicht mehr. So stellte Vater denn bei der Gefängnisverwaltung den Antrag, ihm für den Umzug einige Strafgefangene zur Verfügung zu stellen. Am Tage des Umzugs, einem sonnigen Septembermorgen, rückten vier Mann in braunem Drillich, von einem kleinen alten Aufseher begleitet, dem ein martialischer Säbel an der Hüfte baumelte, zugleich mit dem Fuhrwerk vor unserm Hause an. Mutter stieß bei ihrem Anblick einen tiefen Seufzer aus, teils aus Mitleid und teils aus Sorge, ob der Umzug mit diesen ausgemergelten Figuren und mit diesen dürren Kleppern vor dem Wagen ein gutes Ende nehmen werde.
    »Ich weiß nicht, Julchen, ob das gutgehen wird...« murmelte sie verzagt. Aber Vater meinte, es werde schon gehen, sie solle nur jedem von den Kerlen eine dicke Schmalzstulle und eine Flasche Braunbier vorsetzen. Er schien der Meinung zu sein, daß Schmalzbrot und Braunbier genügen würden, um die Männer wieder zu Kräften kommen zu lassen. Sie sahen wirklich erbarmungswürdig aus, denn wenn es draußen schon knapp genug herging, so konnte man sich denken, wie es innerhalb der Gefängnismauern mit dem Fraß bestellt war. Jedenfalls stürzten sie sich über die Schmalzstullen her, als ob es das Köstlichste wäre, was sie seit Monaten genossen hatten. Und dann - gingen sie ran.
    Tische, Betten, Sessel und Stühle, sogar die Kommoden und Sofas bewältigten sie, wenn auch mit einiger Mühe und langen Verschnaufpausen, ganz gut. Für
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