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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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Aufmerksamkeit, die in den Königsberger Blättern, wohl aber auch in der Provinz erschien:

Durch den Verkauf von 100 prächtigen Ansichtskarten, die Sie in Ihrem Bekanntenkreis spielend unterbringen werden, da der Preis pro Stück nur 10 Pfg beträgt, gelangen Sie in den Besitz einer echten Berliner Renommier- oder Prahluhr, um die Sie jedermann glühend beneiden wird. Außerdem aber wird ein patentierter Mechanismus im Zifferblatt dieser echt vergoldeten und hochwertigen Uhr Sie zeitlebens an die glorreiche Zeit erinnern, in der wir leben. Schreiben Sie sofort an Uhren-Kloos in Berlin!

    Es ist klar, daß ich diese Renommier- oder Prahluhr besitzen wollte. Hundert Postkarten zu verkaufen schien mir ein wahres Kinderspiel zu sein, denn ein Dutzend Leute aus der Verwandtschaft, die mir Postkarten abnehmen würden, zählte ich im Handumdrehen auf. Selbstverständlich würden auch die Klassenkameraden gern bereit sein, die prächtigen Karten zu erwerben. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, daß diese Anzeige auch von eben meinen Klassenkameraden gelegen worden war. Und so kam es, daß vierzehn Tage später jeder zweite Junge nicht nur aus meiner Klasse, sondern daß die halbe Schule mit einem dicken Paket Ansichtskarten anrückte, auf denen in scheußlicher Kolorierung unser Kaiser, Auguste Viktoria, Hindenburg, das Berliner Schloß und die Siegesallee abgebildet waren. Dem Päckchen, das ich stolz in Empfang nahm, war wie allen anderen eine Zahlkarte und ein Schreiben beigefügt, in dem der >sehr geehrte Empfänger< aufgefordert wurde, zehn Mark innerhalb eines Monats an Uhren-Kloos zu überweisen, wenn er in den Besitz der Renommieruhr gelangen wollte.
    Nun, im Anfang ging der Verkauf der Karten ja auch recht flott voran. Vater griff tief ins Portemonnaie und nahm mir fünf Karten ab. Onkel Fritz konnte ich zwei davon andrehen, und Tante Elma drückte mir ein Fünfzigpfennigstück in die Hand und verzichtete sogar großzügig auf die Karten. Nach zehn Tagen hatte ich die Schuhsohlen durchgelaufen und vier Mark und einige Groschen darüber eingenommen. Dann aber kleckerten die Dittchen so spärlich herein, daß an einen fristgerechten Verkauf der letzten fünfzig Karten nicht mehr zu denken war. Der einzige Trost blieb, daß ich nicht der einzige war, der auf einem dicken Posten der verdammten Karten sitzenblieb und Uhren-Kloos in Berlin zehn Mark schuldete. Ein Taschengeld bekam ich nicht. Aber für Kohlenschleppen, Holzhacken, Küchenhilfe aller Art vom Abwaschen bis zum Kartoffelschälen steckte mir Mutter hie und da fünfzig Pfennige oder sogar eine Mark zu. Ein schüchterner Versuch, Mutter zu einem Vorschuß zu bewegen, scheiterte kläglich, denn bei ihr galt der Grundsatz: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Meinen Freunden Rudi und Helmut Gutbrod ging es nicht anders als mir, im Gegenteil, sie steckten bei Uhren-Kloos noch tiefer in der Kreide. Da aber kam Rudi auf einen ebenso genialen wie einfachen Gedanken, den Verkauf der blöden Karten aufzugeben und uns das fehlende Geld anderweitig zu beschaffen.
    Damals stand jenseits der Luisenallee, einer Gegend, die bald zu den bevorzugten Wohnvierteln gehörte, noch kein einziges Haus. Die Schienen der Linie 3 liefen neben einer gerade im Unterbau befestigten Straße zur Endstation bei den Zwillingsteichen und zum Hammerteich, in dem wir sommerüber badeten und schwimmen lernten. Dort also waren Getreide- und Kartoffeläcker, und dort baute auch der Gärtner Adler in großen Arealen Weißkohl, Blumenkohl und allerlei Gemüse an. Gärtner Adler hatte vor langen Jahren die Gärtnerei von Opa Gutbrod übernommen. Gestohlen war hier draußen schon immer worden, aber mit der Dauer des Krieges nahmen die Felddiebstähle in einem Ausmaß zu, daß sich der Anbau nicht mehr gelohnt hätte, wenn Gärtner Adler nicht Freunde gefunden hätte, die sich im nächtlichen Wachdienst ablösten. Einer von ihnen war Opa Gutbrod, der solche Wachen gern übernahm, da er nachts ohnehin nicht schlafen konnte. Mit einem uralten Vorderlader, dessen Lauf er mit Pfefferkörnern füllte, stapfte Opa Gutbrod nachts durch das Gelände und hatte schon manchem Dieb eine Pfefferladung auf den Hintern gebrannt. Seine Augen waren noch gut, die Brille brauchte er nur zum Lesen, aber wie schwerhörig er mit zunehmendem Alter geworden war, das wußten seine Enkel am besten. In einer mondlosen Nacht, in der Opa Gutbrod seine Wache schob, zogen Rudi, Helmut und ich mit dem großen zweirädrigen
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