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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition)
Autoren: Susannah Kells
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Prolog
    Das Königreich des Todes ist die Nacht. Wenn die Kirchenglocke um Mitternacht die Stunden schlägt, wenn die Eulen jagen, wenn das Land in der schwarzen Nacht versinkt, dann regiert der Tod.
    Es sind die Geisterstunden, wenn das Schloss und die Häuser sich gegen die Dunkelheit verschließen und doch den Schnitter nicht aufhalten können, der mit seinem Totenschädelgrinsen kommt und den Totengräbern zu tun gibt.
    Zu solcher Stunde, in einer Nacht, in der ein Sturm wütete, erwachte Lady Campion Lazender in einen Albtraum.
    Ein Schrei weckte sie. Sie hörte Hufgetrappel auf dem Kies und die Rufe eines Mannes. Der Wind und der Regen peitschten gegen die dunklen Fenster des Schlosses und ließen seine Worte verhallen.
    Edna, das Dienstmädchen, deren Schrei Campion aus dem Schlaf gerissen hatte, pochte an die Tür. «Mylady! Mylady!»
    «Ich bin wach!» Schon zog sie ein wollenes Gewand über ihr Nachthemd.
    Edna öffnete die Tür, eine Kerze in der Hand, ihr Gesicht war bleich wie Wachs. «Er blutet, Mylady. Er ist gestürzt!», stieß sie halb schluchzend und voller Angst hervor.
    «Ist nach dem Arzt geschickt worden?» Campions Stimme war ruhig. Sie führte das Dienstmädchen durch das Vorzimmer hinaus in den langen Korridor. «Nun?»
    «Ich weiß nicht, Mylady.»
    Die Dienstboten, die von dem Aufruhr geweckt worden waren, versammelten sich in den Fluren. Campion lächelte ihnen zu, denn sie wusste, dass die Leute beruhigt werden wollten. Die einsame Kerze, von Ednas Hand halb abgeschirmt, warf seltsame Schatten auf die hohen Marmorsäulen und auf die bemalten Decken der prächtigen Räume.
    Barfuß lief Campion die Marmortreppe hinauf, die zur oberen Galerie führte. Die Standuhr schlug zwei.
    Dieser Teil des Schlosses war heller erleuchtet. Die Dienerschaft hatte Kerzen angezündet, deren zuckende Flammen die offene Tür zu den Räumen ihres Vaters beleuchteten.
    Über ein blutgetränktes Leintuch trat Campion in das Schlafzimmer ihres Vaters. Er lag auf dem Boden. Auf dem Teppich, auf dem Bett und an den Händen der Dienstboten war Blut. Das schreckliche, eingesunkene, sterbensbleiche Gesicht ihres Vaters war ausgezehrter denn je, er hatte die Augen geschlossen.
    «Was ist geschehen?»
    «Er ist aus dem Bett gefallen, Mylady», antwortete Caleb, der Diener ihres Vaters.
    Auf dem Tisch neben dem Bett stand eine verschüttete Flasche Brandy. Er hatte wohl mit seinem guten Arm versucht, nach der Flasche zu greifen, um die Schmerzen zu betäuben, die ihn Tag und Nacht quälten, und war dann kraftlos aus dem Bett gestürzt.
    Campion kniete sich neben ihn, nahm seine Hand und streichelte ihm über die Wange. Sein Gesicht war eine einzige schmerzverzerrte Grimasse. Er stöhnte, schien jedoch ihre Anwesenheit nicht zu bemerken. Sie ließ seine Hand los und hob die Decke, die Caleb über seinen Beinstumpf gebreitet hatte.
    Der Earl of Lazen war seit fünfzehn Jahren gelähmt, ein kräftiger Mann, der von einem stürzenden Pferd zum Krüppel gemacht worden war. Erst vor einer Woche hatten die Ärzte ihm ein Bein abgenommen, weil der Wundbrand seinen Fuß erreicht hatte.
    «Die Wunde ist aufgegangen, Mylady», sagte Caleb Wright. Sie sah, dass der Diener eine seidene Bettschnur um den Oberschenkel gebunden hatte, um den Blutfluss zu stillen.
    «Heben Sie ihn aufs Bett», sagte Campion. Sie fasste mit an. Ihr Vater stöhnte, als sie seinen siechen, leichten Körper auf die Matratze legten. Sie zog die Decken wieder über ihn. «Kommt der Arzt?»
    «Ja, Mylady», sagte Caleb.
    Sie streichelte ihrem Vater das Gesicht. «Vater? Vater?» Doch er konnte sie nicht hören. Sie fragte sich, wie viel Blut er verloren hatte. Er atmete langsam, seine Brust hob und senkte sich kaum, und als sie die Hand an seinen Hals hielt, war sein Herzschlag nur vage zu ertasten. Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss.
    Der Wind peitschte den Regen gegen das Fenster nahe seinem Bett. Seit fünfzehn Jahren schaute der Graf durch dieses Fenster auf seine Besitzungen. Seine Tochter war ihm in dieser langen Zeit des Sterbens Trost und Freude gewesen.
    In dieser Nacht im September 1792 war Lady Campion Lazender vierundzwanzig Jahre alt. Ihre Gestalt war von einer seltenen Schönheit, ein Geschenk, dessen sie sich nicht bewusst zu sein schien. Sie war schlank und groß und hatte blassgoldenes Haar von der Farbe reifen Weizens zwei Wochen vor der Ernte. Schnell und oft lächelte sie, und ihr rascher Geist blitzte in den riesigen Sälen
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