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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition)
Autoren: Susannah Kells
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sie hier herumschnüffeln lässt! Verdammte Engländer!»
    Der Rauch von Gitans Tabak zog unter dem Torbogen durch. Im Hof hinter ihm summten die Fliegen. Er zupfte einen Tabakfaden von seinen Lippen. «Sie sagen, wir wollen noch keinen Krieg mit den Engländern.» Er sprach langsam, als wäre es ihm gleichgültig, ob es Krieg gab oder nicht. Sein Name, Gitan, bedeutete einfach «Zigeuner». Wenn er einen richtigen Namen hatte, dann benutzte ihn niemand. Er war der Pferdemeister des jungen rothaarigen Mannes, der in dem Dokument als «Mr.   Lazender» bezeichnet worden war. Mr.   Lazender war in Wirklichkeit Viscount Werlatton, der künftige Earl of Lazen, doch in diesen Tagen ging man in Paris nicht mit seiner aristokratischen Abstammung hausieren.
    Zwei junge Frauen durchquerten lachend den Torbogen, ihre Holzschuhe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster. Als sie den Zigeuner sahen, kicherten sie schüchtern und stupsten einander. «Gitan!», rief eine.
    Er schaute mit seinen strahlenden, belustigten Augen zu ihnen hinüber.
    Die schwarzhaarige junge Frau warf den Kopf zurück. «Bist du mit den Fremden gekommen?»
    Der Zigeuner lächelte. «Welcher gefällt dir am besten, Thérèse?»
    Alle lachten. Jean Brissot warf dem Zigeuner einen neidischen Blick zu und zog den Bauch ein. «Gibt es eine junge Frau in Paris, die du nicht kennst, Gitan?»
    «Die österreichische Hure.»
    Das rief noch mehr Gelächter hervor. Marie Antoinette war zusammen mit ihrem Mann, dem König, ins Gefängnis geworfen worden.
    Thérèse trat auf den Zigeuner zu. Er roch nach Leder und Tabak. Sie spielte mit den Schnüren seiner schwarzen Jacke. «Bist du heute Abend bei Laval?»
    «Nein.»
    «Gitan!»
    «Ich arbeite! Ich schlafe im Stall. Wenn du meinen Herrn fragst, lässt er dich vielleicht rein, aber ich sag dir, das Stroh gerät überallhin.» Er blies Rauch über ihren Kopf und nahm sie fast geistesabwesend in den Arm. Brissot war neidisch. Der Zigeuner, hieß es, wusste mit Frauen genauso gut umzugehen wie mit Pferden. Jetzt lächelte Gitan auf die junge Frau hinab. «Du bist der Flasche im Weg. Scher dich fort.» Er schob sie auf den Platz, wo die Schwalben zwischen den dunklen Häusern hin und her schossen.
    Jean Brissot schüttelte den Kopf. «Wie machst du das?»
    «Was?»
    «Mit den Frauen!» Der untersetzte Mann lachte. «Hätte ich doch dein Glück, Gitan, wenn auch nur für einen Tag!»
    Der Zigeuner zuckte die Achseln. «Frauen sind wie Pferde.»
    «Du reitest sie, was?»
    Der große, gutaussehende Pferdemeister lächelte. «Man liebt sie, zeigt ihnen, wer der Herr ist, und dann hat man immer eine an seiner Seite.»
    «Gitan! Gitan!», rief eine gebieterische Stimme verzweifelt aus dem Gefängnisinnern. «Gitan!»
    Der Zigeuner warf seine Zigarette weg und zuckte die Achseln. «Pass auf mein Pferd auf, Jean.»
    Pierce, der älteste der drei Engländer, stand an einer Treppe, die vom Hof nach oben führte. Sein an sich schon blasses Gesicht wirkte im schwindenden Licht weiß wie Papier. «Sie ist da. Oben.» Er sah aus, als hätte er sich übergeben.
    Der Zigeuner nickte, stieg die Treppe hinauf, schob sich an den Männern vorbei, die am Eingang herumlungerten, und stieg eine weitere Treppe hinauf. Der Gestank von Blut und Tod schien in der stillen, heißen Luft des Gefängnisses eingeschlossen zu sein. Er verstopfte Gitan die Nasenlöcher und stieß ihm im Hals sauer auf.
    Toby Lazender, Lord Werlatton, lehnte am Ende eines langen Treppenabsatzes im dritten Stock an der Wand. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die durch ein vergittertes Fenster schien, fielen auf den jungen rothaarigen Mann. Er wandte sich nicht um, als der Zigeuner auf ihn zukam, sondern starrte nur in die Zelle.
    Gitan blieb an der Tür stehen und musterte Toby Lazender. Er bezweifelte, dass der Engländer sich seiner Gegenwart in diesem Augenblick überhaupt bewusst war. Das Gesicht des jungen Mannes war härter als Stein, seine Augen bar jeglichen Ausdrucks. Er war vollkommen reglos. Drew neben ihm machte ein hilfloses Gesicht.
    Der Zigeuner blickte in die Zelle.
    Die Sonne blendete ihn. Auf der Fensterbank stand etwas.
    Langsam trat er hinein, setzte die Füße vorsichtig auf wie in einem Blumenbeet.
    «Gitan?», fragte Toby mit tiefer Stimme.
    Der Zigeuner hockte sich hin und stöhnte.
    Die Stimme des jungen Engländers war voller Ekel. «Gibt es etwas, was sie ihr nicht angetan haben?»
    Der Zigeuner schwieg, denn eine Antwort war
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