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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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herangehen, denn was ich insgeheim befürchtet hatte, war nicht geschehen, mein Name war weder in der Voruntersuchung des Falles noch in der Verhandlung erwähnt worden. Ich hatte eine rachsüchtige Bemerkung des großen Fabricius fast erwartet, da nicht auszuschließen war, daß mein Vater an der Verhandlung gegen ihn teilnehmen konnte; aber er schien mir die fünfzig in den Lokus gespülten Scheine vergeben zu haben, oder er hatte sie vergessen.
    Er wurde übrigens nach acht Jahren Haft, die er im Insterburger Zuchthaus absaß, begnadigt. Die Familie schob ihn nach Südamerika ab. Vierzig Jahre später fand ich unter meiner Post einen Brief mit einer brasilianischen Marke und dem Namen eines unbekannten Absenders - nur die Schrift kam mir merkwürdig bekannt vor. Er hatte in einer Buchhandlung in Porto Alegre zwei Bücher von mir entdeckt, für ihn eine freudige Überraschung, wenn er sich auch denken könne, daß mir an einer Erneuerung unserer Beziehungen wenig gelegen sein werde. Über sich und seine Lebensumstände kein Wort. Ein Brief, den ich am nächsten Tage an die auf dem Umschlag angegebene Anschrift sandte, kam nach Monaten mit dem Vermerk, daß ein Adressat dieses Namens nicht auffindbar sei, an mich zurück.

    Darüber sind nun mehr als fünfzig Jahre vergangen. Und wieder einmal steht die Frage im Raum, die man Freunden, mit denen man zusammen alt geworden ist, und die man sich auch selber wohl zuweilen stellt, ob man noch einmal jung sein und das Leben noch einmal von vorn beginnen möchte. Eine törichte Frage, gewiß, denn keine Fee und kein Gott könnte diesen Wunsch erfüllen. Natürlich, wer hätte schon etwas dagegen einzuwenden, noch einmal siebzehnjährig im Hinterzimmer vom »Abgehackten« mit den Freunden vom Comment Olymp die Becher zu heben und >Herr Bruder zur Rechten und Herr Schwager zur Linken« zu singen. Wer möchte sein Kätchen, oder wie die erste Flamme auch immer geheißen haben mag, nicht noch einmal im Walzer über das helle Parkett und in der Tanzpause heimlich in eine jener dunklen Nischen führen, mit denen die alten Dombaumeister allerdings andere Zwecke verfolgt hatten.
    »Ach, weißt du, mein Lieber«, meinte mein alter Freund und Conabiturient Arthur Pukall bei seinem letzten Besuch, die Nase in der Blume eines Randersackerer Pfülben vom guten Jahrgang 1971, »ja, wenn es so ginge wie etwa in der >Feuerzangenbowle< auf einen kurzen Besuch und mit einem reellen Einkommen im Hintergrund, dann schon. Aber sonst? Nein, lieber nicht...«
    Nein, lieber nicht! Denn was in der Erinnerung als besonnte Vergangenheit liegt, war doch ein schmerzhafter Prozeß, und weit schmerzhafter als die Wachstumsbeschwerden waren die dunklen Ängste und Ahnungen, daß die Welt, in die man höchst unfreiwillig hineingesetzt worden war, alles andere als vollkommen, und daß das Leben, dem man entgegenwuchs, über Abgründe führte, von denen man einige schon in jungen Jahren entdeckt hatte - und an ihnen gerade noch mit einer gehörigen Portion Glück vorbeigestolpert war.
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