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Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht
Autoren: Judith McNaugth
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    E r folgte ihr seit drei Tagen, immer auf der Lauer, immer auf dem Sprung.
    Inzwischen kannte er ihren Tagesablauf und ihre kleinen Gewohnheiten. Er wußte, wann sie morgens aufstand, mit wem sie regelmäßig Umgang hatte und wann sie abends schlafen ging. Er wußte, daß sie gerne nachts im Bett schmökerte, gemütlich auf ein paar Kissen gestützt. Er kannte den Titel des Buches, das sie gerade las, und wußte, daß sie es am Ende umgedreht auf das Nachtkästchen legte, bevor sie schließlich das Licht löschte.
    Er wußte, daß das Blond ihres fülligen Haars echt und daß das bezaubernde Veilchenblau ihrer Augen nicht das Ergebnis ihrer Kontaktlinsen war. Er wußte, daß sie ihr Make-up im Drugstore kaufte und daß sie exakt fünfundzwanzig Minuten benötigte, um sich morgens für ihren Arbeitstag fertigzumachen. Offensichtlich war ihr mehr an einem netten, ordentlichen Aussehen gelegen als an der Betonung ihrer körperlichen Vorzüge. Er selbst jedoch interessierte sich sehr für ihre nicht unbeträchtlichen körperlichen Vorzüge. Allerdings nicht unbedingt aus den »üblichen« Gründen.
    Zunächst hatte er große Mühe darauf verwendet, daß sie ihn nicht bemerkte und doch immer in seinem Blickfeld blieb. Seine Vorsichtsmaßnahmen entsprangen aber eher der Gewohnheit als der Notwendigkeit. Mit einer Einwohnerzahl von hundertfünfzigtausend Menschen - fünfzehntausend davon College-Studenten - war die kleine Stadt Bell Harbor an Floridas Ostküste groß genug, damit sich ein Fremder unbemerkt in ihr bewegen konnte, aber doch wiederum so klein, daß er nicht in Gefahr geriet, sein Beobachtungsobjekt im unübersichtlichen Chaos der Häuser und Straßen zu verlieren.
    Heute war er ihr in den Stadtpark gefolgt, wo er einen milden, aber anstrengenden Februarnachmittag inmitten von gutgelaunten, biertrinkenden Erwachsenen und kreischenden Kindern verbracht hatte, die sich hier am Feiertag mit allerlei Spielen und Picknicks vergnügten. Er mochte Kinder nicht besonders, insbesondere keine solchen mit schmutzigen Händen und verschmierten Gesichtern, die pausenlos um ihn herumrannten und ihm vor die Füße stolperten. Hin und wieder forderten sie ihn mit einem ausgelassenen »Hey, Mister!« auf, ihnen ihre verirrten Bälle zurückzuwerfen. Dieses Spielchen fand er auf die Dauer so ermüdend, daß er seine bequeme Parkbank schließlich verlassen und unter einem abseits stehenden Baum Schutz gesucht hatte. Doch auch hier fand er keine einigermaßen zufriedenstellende Beobachterposition. Die rauhe Baumrinde machte das Anlehnen zur Qual, und die dicken, knorrigen Wurzeln erlaubten es ihm nicht, sich auf den Boden zu setzen. All diese widrigen Umstände gingen ihm langsam auf die Nerven und stellten seine Geduld auf eine harte Probe. Er konnte sich nur mit der Aussicht trösten, daß er seine Aufgabe bald erfüllt haben würde.
    Um auf andere Gedanken zu kommen, wandte er sich wieder seinem Beobachtungsobjekt zu und ging im Kopf noch einmal Punkt für Punkt seiner weiteren Pläne durch. Sloan war im Moment gerade damit beschäftigt, von einem Baum herabzusteigen, aus dessen Krone sie einen Drachen befreit hatte, der wie ein schwarzer Falke mit hellgelben Spitzen an den ausgebreiteten Flügeln aussah. Unter dem Baum stand eine Gruppe von fünf- bis sechsjährigen Kindern, die sie mit ihren hellen, fröhlichen Stimmen anfeuerten. Ganz in der Nähe lungerten ein paar männliche Jugend-liche herum. Die kleineren Kinder waren vor allem an der Rettung des Drachens interessiert; die größeren Jungs hingegen schienen mehr Aufmerksamkeit auf Sloans wohlgeformte, sonnengebräunte Beine zu verwenden, die sich langsam aus dem dichten Geäst des Baumes hervorarbeiteten. Insgeheim stimmte er in die anerkennenden Kommentare der Jungen mit ein, denn Sloans Beine wären schon für eine zwanzigjährige Studentin bemerkenswert gewesen; für eine dreißigjährige Polizistin aber waren sie phänomenal.
    Normalerweise fühlte er sich eher zu großgewachsenen, üppig gebauten Frauen hingezogen, doch auch diese hier mit ihren nur eins fünfundsechzig Körpergröße, den festen Brüsten und dem gertenschlanken, sportlichen Körper, den sie sehr anmutig zu bewegen wußte, gefiel ihm ausnehmend gut. Sie war nicht der Typ Frau, den man in Herrenmagazinen abgebildet sah, aber in ihren flotten, khakifarbenen Shorts, ihrem makellos weißen Häkelshirt und mit ihrem blonden Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, strahlte sie eine
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