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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen
Autoren: Horst Biernath
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hingeschluchzten Erzählungen nach waren es lauter russische Gräfinnen und Fürstinnen, die, von den Bolschewiken ihrer Güter und Juwelen beraubt, hier ihre Körper, nie aber ihre >Säälen< verkauften.
    Als Schulgeld wurde vierteljährlich ein Betrag von RM 32.50 erhoben. Kassiert wurde es von Zeichenlehrer Jordan. Der leichtsinnigste Hund von uns allen war fraglos Fitti Konopka. Wenn Herr Jordan am Quartalsersten zum Kassieren kam, konnte ihm der Fitti nur eine Abschlagzahlung von 22.50 oder günstigsten Falles von 28 Mark anbieten. »Wo hast du verdammter Kerl das Geld wieder versoffen?« grollte dann der alte Jordan. »Im Kulmbacher, Herr Professor«, schnüffelte der Fitti und hoffte, Herrn Jordan durch die Verleihung des Professorentitels gnädiger zu stimmen. »Im Kulmbacher...« brummte der, »weshalb sauft ihr nicht Schönbuscher wie ich? Da kostet das Tulpchen drei Pfennig weniger. Also - wenn das Geld nicht spätestens übermorgen zur Stelle ist...!« Dann rannte der arme Fitti zwei Tage lang von Pontius zu Pilatus, ergatterte hier fünfzig Pfennig und dort eine Mark, und dann fehlten ihm oft genug doch noch zwei oder drei Mark zur vollen Summe. Und jedesmal streckte Herr Jordan die Differenz unter fürchterlichen Drohungen aus der eigenen Tasche vor.
    Inzwischen war nämlich der Billionenschwindel im Herbst 1923 von einem Tag auf den andern geplatzt. Mit den Nullen war es vorbei. Unser Geld hieß jetzt Rentenmark, und es war so knapp, daß wir uns an die kleinen Brötchen, die man daraus backen konnte, erst gewöhnen mußten. Eine Mark war ein Haufen Geld. Die Zigarette kostete zwei Pfennig pro Stück, für den kleinen Korn nahm Vater Dietrich über die Theke fünf und für den doppelstöckigen zehn Pfennig. Und auch die Tulpe Bier gab es für einen Dittchen - sofern man ihn besaß. Wenn einer von uns drei Mark in der Tasche hatte, galt er als Krösus. Das war es eben, was dem Fitti das Pumpen so schwer machte. -
    Wie war die Zeit? Spürten wir die dunklen Wolken, die heraufzogen? Ach was, wir lebten an der Zeit und an den Tagesereignissen vorbei und hielten den Carlos Jaecker, dessen Vater sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter war, für einen Spinner, wenn er für seines Vaters Partei nachts auszog, um Plakate zu kleben und sich mit den Stahlhelm-Leuten herumzuprügeln. Unser Chef war Stadtverordneter und gehörte der Fraktion der Deutschen Volkspartei an, einer liberalen Gruppe, die zuerst großen Zulauf hatte und später, wie es Liberalen so zu gehen pflegt, mit Existenzsorgen kämpfte. Der Chef war ein echter Liberaler, nicht nur als Parteimann, sondern auch als Mensch. Einmal geriet Jaecker mit ihm während des Geschichtsunterrichts in einer politischen Tagesfrage zusammen. Weiß der Himmel, worum es ging, jedenfalls endete es damit, daß Jaecker ihm blitzend zurief: »Ach, hören Sie doch auf! Sie mit Ihrer Fraktion Drehscheibe!« -Er sagte nur: »Aber, aber, Jaecker! Wir sind doch hier nicht auf einer sozialdemokratischen Wahlversammlung...!«- Das war seine ganze Reaktion auf die Unverschämtheit, und Carlos Jaecker hatte die »Fraktion Drehscheibe« auch in Zukunft nicht zu büßen. Mentz war ein Mann, bei dem man nicht nur denken durfte, sondern der Mitarbeit und Mitdenken verlangte. Als ich einmal eine Bemerkung über die auffällige Nähe von Cluny zu der sich in Südfrankreich ausbreitenden Kreuzzugsbewegung machte, war er davon so angetan, daß er mir, die starke Brille drei Zentimeter vom Notizbuch entfernt, eine Eins hinmalte. Von da an hatte ich bei ihm einen Stein im Brett, der leider kurz vor dem Abitur herunterpurzelte; aber diese Geschichte habe ich schon früher erzählt. Überhaupt hatte ich mit der Wahl des Kneiphof einen Volltreffer gelandet. Mit wenigen Ausnahmen waren unsere Professoren alte Herren, die uns mit fast großväterlicher Güte behandelten. Da gab der alte Professor Krieger Latein. Weshalb er den Spitznamen Luchs trug, konnten vielleicht verflossene Generationen erklären. Die scharfen Augen waren trüb geworden, und wenn er jemals Krallen und Zähne besessen hatte, so waren sie jetzt stumpf. Griechisch lehrte Professor Lehnerdt mit dem Spitznamen Mops. Ein liebenswürdiger alter Herr, der nur noch erglühte, wenn er uns in die Welt Platons einführte. Es gab einen wunderbaren, unfehlbar wirkenden Trick, um eine Übersetzung herumzukommen, ohne sich eine schlechte Note einzuhandeln. Man brauchte bei der bei Platon so häufigen Anrede des Sokrates an seine
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