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Dogma

Dogma

Titel: Dogma
Autoren: Raymond Khoury
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Prolog
    Konstantinopel – Juli 1203
    «Duckt Euch und vermeidet jedes Geräusch», flüsterte der grauhaarige Mann, während er dem Ritter half, den Wehrgang zu erklimmen. «Auf dem Festungswall wimmelt es von Wachen, durch die Belagerung sind alle in höchster Alarmbereitschaft.»
    Everard von Tyros sah sich suchend um, ob in der Dunkelheit eine Gefahr lauerte, doch es war kein Mensch in der Nähe. Die Türme zu beiden Seiten waren so weit entfernt, dass die flackernden Fackeln der nächtlichen Wachen dort in der mondlosen Nacht kaum auszumachen waren. Der Hüter hatte die Stelle gut gewählt. Wenn sie rasch handelten, bestand tatsächlich die Möglichkeit, die Befestigungsanlagen unbemerkt zu überwinden und in die Stadt einzudringen.
    Ob es ihnen allerdings gelingen würde, sie ebenso unbemerkt auch wieder zu verlassen – das war eine andere Frage.
    Everard ruckte dreimal am Seil, das Zeichen für die fünf Ritter seiner Bruderschaft, die unten im Schatten der mächtigen äußeren Mauer warteten. Einer nach dem anderen kletterte an dem geknoteten Seil hinauf, der Letzte zog es hinter sich hoch. Mit gezückten Schwertern schlichen sie schweigend im Gänsemarsch hinter ihrem Verbündeten her. An der inneren Mauer ließen sie das Seil wieder hinab. Minuten später hatten alle wieder festen Boden unter den Füßen. Sie folgten einem Mann, dem keiner von ihnen je zuvor begegnet war, hinein in eine Stadt, die sie nie zuvor betreten hatten.
    Jederzeit darauf gefasst, entdeckt zu werden, duckten sie sich tief. Statt der traditionellen weißen Umhänge mit dem roten Tatzenkreuz, dem Zeichen ihres Ordens, trugen sie schwarze Wappenröcke über dunklen Tuniken. Ihre wahre Identität zu erkennen zu geben war nicht ratsam. Nicht, wenn sie sich in feindlichem Gebiet bewegten, und erst recht nicht, wenn sie heimlich in eine Stadt eindrangen, die von den Kreuzrittern von Papst Innozenz belagert wurde. Schließlich waren sie selbst Kreuzritter. Für die Bevölkerung von Konstantinopel galten die Templer als Männer des Papstes. Sie waren der Feind. Und Everard war sich vollauf bewusst, welch grausiges Schicksal Ritter erwartete, die hinter den feindlichen Linien dem Gegner in die Hände fielen.
    Aber der Kriegermönch betrachtete die Byzantiner nicht als Feinde, und er war auch nicht im Dienst des Papstes hier.
    Ganz und gar nicht.
    Christ gegen Christ, dachte er, während sie an einer nächtlich verschlossenen Kirche vorbeischlichen. Nimmt dieser Irrsinn denn kein Ende?
    Hinter ihnen lag eine lange, beschwerliche Reise. Tagelang waren sie geritten, hatten sich nur kurze Pausen gegönnt und ihre Pferde fast zu Tode geschunden. Die Botschaft von den Hütern tief in der byzantinischen Hauptstadt war gänzlich überraschend gekommen – und sie war zutiefst beunruhigend. Die Stadt Zadar an der dalmatinischen Küste war unerklärlicherweise von der päpstlichen Armee belagert und erobert worden – unerklärlich, wenn man bedachte, dass es sich um eine christliche Stadt handelte, und nicht nur das, sogar um eine
katholische
. Inzwischen war die venezianische Flotte, mit der die plündernden Scharen des Vierten Kreuzzugs eingefallen waren, weitergezogen. Ihr nächstes Ziel war Konstantinopel, angeblich, um dem abgesetzten, blinden Kaiser und seinem Sohn wieder auf den Thron zu verhelfen. Wenn man bedachte, dass die byzantinische Hauptstadt nicht einmal katholisch war, sondern griechisch-orthodox, und sich zudem dort vor einigen Jahrzehnten ein Massaker zugetragen hatte, waren die Aussichten für die Stadt alles andere als erfreulich.
    So waren Everard und seine Rittergenossen in aller Hast von der Templerburg in Tortosa aufgebrochen. Sie waren nach Norden bis an die Küste geritten, dann weiter nach Westen, durch feindliches Gebiet, das von kilikischen Armeniern und muslimischen Seldschuken beherrscht wurde, durch das trockene, unwirtliche Kappadokien, wobei sie um jede Stadt und jede Siedlung einen Bogen machten und alles taten, um eine Begegnung mit Einheimischen zu vermeiden. Als sie die Gegend um Konstantinopel erreichten, hatte sich die Kreuzfahrerflotte – mehr als zweihundert Galeeren und Reiterzüge unter dem Kommando des gefürchteten Dogen von Venedig persönlich – bereits in den Gewässern verschanzt, die die bedeutendste Stadt ihrer Zeit umgaben.
    Die Belagerung war in vollem Gange.
    Die Zeit lief ihnen davon.
    Als eine Patrouille Fußsoldaten vorbeimarschierte, zogen sie sich in einen
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