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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe
Autoren: Alexandra Kui
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Prolog
    R iechst du den Duft der Nacht? Dieses erdige Schweigen. Die Süße der Schatten. Wenn die Blätter fallen und die Tage kürzer werden, so kurz, dass die Dunkelheit nie ganz verschwindet, ist es Zeit, die Angst einzuladen. Lausche dem Sturm und kuschele dich ein, die Lieblingsdecke um die Schultern, das Buch auf den Knien. Oder die Fernbedienung in der Hand, egal, Hauptsache, du hast etwas zum Knabbern besorgt, dir einen Kakao gekocht, vielleicht auch Tee. Rotbusch mit Vanille-Aroma. Behaglichkeit ist wichtig, sie verleiht dem Schrecken das gewisse Etwas.
    Auf geht’s. Am Anfang steht das Verbrechen. Jetzt gilt es, die Verbindung zu den Opfern aufzubauen. Du musst sie mögen, dich mit ihnen identifizieren, sonst bleibst du nicht am Ball und der Gänsehautfaktor lässt zu wünschen übrig. Genügt es, wenn ich dir erzähle, dass mein Vater und meine Mutter anständige Leute waren? Nicht gerade die besten Eltern der Welt, so etwas zu behaupten wäre reine Rührseligkeit, aber sie haben getan, was sie konnten. Vati neigte dazu, aus der Haut zu fahren, wir hatten oft Streit. Mama, meine schöne, zarte, elfenhafte Mama, war meistens müde und wirkte desinteressiert, wenn ich nach Hause kam und in dem Essen herumstocherte, das sie für mich gekocht hatte. Dabei hätte sie allen Grund gehabt, stolz auf mich zu sein, denn bevor ich aufhörte, dazuzugehören, eine von euch zu sein, war ich vor allem eins: vielversprechend. Eine ausgezeichnete Schülerin. Auf dem Weg von der Schule nach Hause ging ich im Kopf meistens meine Hausaufgaben durch. Wenn niemand in der Nähe war, summte ich dabei vor mich hin. Habt ihr mich vor Augen? Ein bildhübsches Ding mit guten Manieren und einem gesunden Selbstbewusstsein. Ich gehe davon aus, dass meine Mutter tatsächlich Stolz empfand, wenn sie mir – in zusammengesunkener Haltung gegen die Arbeitsplatte der Küche gelehnt – beim Herumstochern zusah. Wie ich heute weiß, litt sie an einer chronischen Anämie, daher die Müdigkeit. Sie war also blutarm, und so sah sie auch aus: eine feingliedrige, selbst im Hochsommer blasse Frau, geradezu durchscheinend.
    Aus dramaturgischer Sicht ist es vermutlich zu früh, jetzt schon davon anzufangen, aber ich kann dir versichern: Am Tag, als sie starb, hat sie dennoch geblutet wie ein Schwein. Obwohl es natürlich unmöglich war, Vatis und ihr Blut voneinander zu unterscheiden. Man konnte ja nicht mal mehr erkennen, wer wer war.
    Genug davon.
    Fürs Erste.
    Ich will dich nicht desillusionieren. Denn womöglich gehörst du noch zu denjenigen, die Mord für eine ästhetische Inszenierung halten: ein Kinderfahrrad am Wegesrand, eine leblose Knabenhand im Schilf, sauber wie frisch gespültes Porzellan, die Fingernägel ordentlich geschnitten, ringsum Vogelgezwitscher. Eine glänzende Flut schwarzer Haare auf einem Bett aus Schnee, kunstvoll zum Fächer drapiert. Eine mandeläugige Schönheit im Brautkleid, die mit leerem Blick auf dem Wasser eines Sees dahintreibt, makellos wie eine Kirschblüte.
    Dazu die passende Musik, Kylie Minogues sanftes Säuseln:
    »They call me the white rose
    But my name was Eliza Day.«
    Murder Ballads von Nick Cave and The Bad Seeds, ein Begriff? Solltest du dir anhören.
    Ich könnte mir noch Hunderte solcher Bilder aus den Fingern saugen, eins schaurig-schöner als das andere, damit bestreite ich meinen Lebensunterhalt, und das nicht schlecht. Doch die Sache hat einen Haken. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus, und ich habe das dringende Bedürfnis, diesmal nichts zu beschönigen.
    Echte Verbrechen sind hässlich wie eine tote Ratte. Sie haben ein hässliches Motiv, hinterlassen hässliche Spuren und einen verdammt hässlichen Gestank, der dich verfolgen wird bis ans Ende deiner Tage. Wenn du (wie ich) jemals das Pech haben solltest, selbst in so eine Sache reingezogen zu werden, kann ich dir eines versprechen: Nichts wird jemals so werden wie früher. Du gehörst nie mehr ganz dazu, denn du hast was abgekriegt, einen Sprung in der Schüssel, wie die Leute sagen. Es ist nicht fair, aber dein Unglück fällt auf dich zurück, wird zum Makel und macht es jedem unmöglich, dich von ganzem Herzen zu lieben.
    Jeder Tag wird zur Nacht. Jede Nacht zum Feind. Und niemals, wirklich niemals, säuselt im Hintergrund Kylie Minogue.

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