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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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wieder auch notwendig, Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen erfordern nicht nur einen Dialog auf der Grundlage von Vertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Verständnis, sondern auch die Bereitschaft, die letzte Wegstrecke des Sterbens mit kompetenter Zuwendung und helfend zu begleiten.
    Palliativmedizin ist nicht nur ein besonderes medizinisches Konzept, und keineswegs nur eine neue Spezialdisziplin. Wie im vorliegenden Band deutlich werden soll, bedeutet Palliativmedizin in besonderem Maße auch Wertorientierung, indem sie die Grenzen therapeutischen Handelns respektiert und die Kommunikation über die in den letzten hundert Jahren schmerzlich missachteten und vernachlässigten ethischen Grundlagen medizinischer Moral und menschlichen Miteinanders wieder ins Bewusstsein zu bringen versucht. Menschen in der letzten Lebensphase erwarten nicht nur hohe fachliche Kompetenz, sondern sie benötigen in besonderer Weise Zuwendung, wertfreies Interesse, Erreichbarkeit, Wahrhaftigkeit, Unvoreingenommenheit und Empathie. Zudem erwarten sie Authentizität und u. U. auch die Bereitschaft, sich Konflikten zu stellen und diesen nicht auszuweichen. Wenn Menschen in Grenzsituationen sich in ganz unterschiedlicher Weise mit existentiellen Fragen beschäftigen, z.B. dem Sinn des Weiterlebens bei einer aussichtslosen Prognose, ist es häufig schwierig, in den verschiedenen Phasen einer nicht heilbaren Erkrankung Aspekte der Hoffnung und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. So hat Palliativmedizin auch die Aufgabe, sich der mythischen und häufig tabuisierten Trennlinie zwischen Krankheit und Tod anzunähern und die Schicksalshaftigkeit, vielleicht sogar die Fragenach dem Sinn von Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, aber auch die Frage eines autonomen Sterbens wieder im Zusammenhang mit der Gewissheit des Todes unter ethischen Gesichtspunkten zu reflektieren und zu thematisieren. Die Todesverdrängung unserer Gesellschaft ist die Begleiterscheinung einer Entwicklung, in der durch die zunehmenden Möglichkeiten der Lebensvernichtung die Verantwortung für den Erhalt des Lebens, aber auch für das Sterben in die Hände der Menschen selbst gelegt ist. Sie ist aber auch Bestandteil einer Entwicklung, in deren Verlauf das Bemühen um eine gemeinsame orientierende Lebensvorstellung und Weltanschauung verlorengegangen ist.
    Die mit der Palliativmedizin verbundene Hinwendung zum Menschen und nicht nur zu seinen Krankheiten sollte für eine paradigmatische Rückbesinnung der Medizin wegweisend sein. Das naturwissenschaftlich dominierte Krankheitskonzept wird ergänzt werden müssen durch ein wissenschaftliches Weltbild, das eine Synthese der Natur- und Geisteswissenschaften sowie auch der Sozial- und Kulturwissenschaften zur Grundlage hat. Mehr denn je benötigen wir jedoch die Zusammenfassung des erforschten Wissens über den kranken und sterbenskranken Menschen in einer übergeordneten Wissenschaftsdisziplin: einer medizinischen Anthropologie. Eine humane Medizin, die die Betreuung und Begleitung des Sterbenskranken und Sterbenden zu ihren Aufgaben zählt, ist auch ein Gradmesser für das humane Miteinander einer Gesellschaft.
    Dieses Buch wurde geschrieben vor dem Hintergrund vieler Begegnungen mit sterbenskranken und sterbenden Menschen sowie deren Angehörigen. Für mich als Arzt waren diese Erlebnisse mit Sterbenden immer wieder mit der Frage verbunden, wie wir uns einer Grenze annähern können, mit derwir keine eigene Erfahrung haben, der sich aber niemand entziehen kann. Diese Grenze zu überschreiten, steht uns allen irgendwann bevor, und vielleicht sollten wir der Vorbereitung auf sie und Auseinandersetzung mit ihr mehr Bedeutung schenken. Nur wenige sind allerdings bereit, dies auch zu tun. Das vorliegende Buch ist der Niederschlag meiner Erfahrungen im Umgang mit Sterbenskranken sowie der Gedanken und Erkenntnisse, die mich zu der Überzeugung gebracht haben, dass durch die ›Wiederentdeckung‹ des palliativen Gedankens in der Medizin ein wichtiger Schritt geleistet wurde, dem Thema Sterben und Tod in der Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen – besonders auch im Hinblick auf die Bestimmung eines würdigen Sterbens. Die einzelnen Kapitel dieses Buches behandeln Fragen und Probleme, die sterbenskranke Menschen und ihre Angehörigen immer wieder bewegen. Neben medizinischen Aspekten ergeben sich dabei vor allem ethische und kommunikative Herausforderungen. Sachliche Informationen
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