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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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dosierten Infusion mit dem Beruhigungsmittel Midazolam, die Schmerzen zu lindern und Frau L. in einen Schlaf zu versetzen. Ihr Partner saß bei ihr, hielt ihre Hand und bewachte sie wie ein sterbendes Tier. Nach vielen Stunden, in denen auch wir die Gewissheit hatten, dass der Anlass des Leidens, der zu der Dramatik des Sterbeverlangens geführt hatte, nicht mehr vorhanden war, gelang es, wieder miteinander zu reden, die Luft zu fühlen, das Licht und die Farben des Tages wahrzunehmen, Trost, Hoffnung und Worte füreinander zu finden. Es waren noch zwei bewegende Tage und Nächte, in denen Frau L. in ruhiger, trauriger und doch auch entspannter Atmosphäre ihren Tod finden konnte und die alle Beteiligten die tiefe, bestimmende Bedeutung des Sterbeerlebens bewusster werden oder zumindest erahnen ließen.
    Trotz der besonderen Erschütterung der letzten Tage kam Herr K. am Tag nach dem Tod seiner Partnerin nochmals zurück. Er wollte uns danken für die wunderbare Hilfe, die seiner Frau und ihm in den letzten Tagen auf der Palliativstation widerfahren sei, für die Erleichterung, die er nach dem tiefen Konflikt im Ringen um den richtigen Weg empfinde, und für das Gefühl, nun doch leben zu können, ohne das Bewusstsein, etwas versäumt zu haben oder Schuld zu empfinden. Er wisse nun, wie sehr das Sterben der anderen auch das eigene Leben begleite.
    Der inzwischen vielfach belastete Begriff Euthanasie im Sinne von »Sterbehilfe« erfuhr über die Jahrhunderte hinweg, besonders aber im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, einen Bedeutungswandel, der in Deutschland auch die derzeitige Diskussion wesentlich mitbestimmt. Im Sinne von Francis Bacon ging es bei der Euthanasie zunächst um eine ars moriendi , d. h. um »ärztliche Handlungen, die Sterbenden den Todeskampf erleichtern«. Im 18. und 19. Jahrhundert verstand man unter diesem Begriff eine »Todeslinderung«, indem der Arzt durch zweckmäßige Lagerung, Fernhaltung von äußeren Störungen, Linderung von Schmerzen, frische Luft und labende Getränke den als unvermeidlich erkannten Tod für den Sterbenden möglichst leicht und schmerzlos zu machen suchte. »Sterbehilfe« als Synonym für Euthanasie findet sich erstmals im Großen Brockhaus von 1934 als »Abkürzung von Qualen bei einer unheilbaren, langwierigen Krankheit zum Wohle des Kranken oder im Sinne der Tötung z.B. idiotischer Kinder, also zugunsten der Allgemeinheit«. 47 Diese Pervertierung der Euthanasie im Nationalsozialismus hat in Deutschland zu einer besonderen Sensibilisierung im Hinblick auf ärztliches Töten geführt, aber auch die Unsicherheiten genährt, wann welche Formen einer ärztlichen Hilfe im Sterben und nicht zum Sterben erlaubt und angemessen sind. 48
    Zur Beurteilung medizinischer Maßnahmen in sterbenahen Situationen wurden Begriffe wie »aktive«, »passive«, »direkte« und »indirekte« Sterbehilfe eingeführt – Begriffe, die auch Ärzte häufig nicht eindeutig voneinander abgrenzen und die sich in der Debatte um die Notwendigkeit von Gesetzesregelungen inzwischen als wenig hilfreich erwiesen haben. Konsequenterweise verzichtet die Bundesärztekammer in ihren zuletzt 2011 aktualisierten Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung völlig auf den Begriff der Sterbehilfe.
    Und dennoch wird die Diskussion über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit medizinischer Maßnahmen bei sterbenskranken und sterbenden Menschen vor allem durch die unter juristischen Gesichtspunkten verwendete Terminologie zur »Sterbehilfe« bestimmt. Dabei ist die Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe ein wesentlicher Bezugspunkt in der Diskussion über die Euthanasie. Vom Nationalen Ethikrat wurde deshalb im Jahr 2006 eine Änderung der Terminologie vorgeschlagen, die sich aber im Sprachgebrauch zu Handlungsformen der »Sterbehilfe« noch nicht allgemein durchgesetzt hat: 49 Es sollte nur dann von aktiver Sterbehilfe oder Euthanasie gesprochen werden, wenn eine medizinische Maßnahme, z.B. die Gabe eines tödlich wirkenden Medikamentsoder eine Injektion, auf ausdrückliches Verlangen des Betroffenen verabreicht wird und dies unter bestimmten gesundheitlichen Voraussetzungen, z.B. weit fortgeschrittener Erkrankung und unerträglichem Leid, mit der Absicht geschieht, damit den Tod herbeizuführen. Insofern ist der Begriff mit dem englischen euthanasia gleichzusetzen. Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) ist in Deutschland nach § 216 StGB verboten, selbst wenn sie auf Verlangen des
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