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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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und pünktlich geschah. Er wollte und konnte seine Frau keinen Augenblick alleine lassen – das hatten sie sich schließlich versprochen. Die erwachsenen Kinder waren weit entfernt.
    Als die Frage anstand, ob die Begleitung des Sterbens zu Hause möglich sei, fühlte Herr D. sich jedoch unsicher – er wolle lieber wieder mit seiner Frau ins Krankenhaus kommen, wenn es so weit war. »Wer hilft mir?«, fragte er, »wenn ich es zu Hause nicht schaffe – ich habe noch nie einen Menschen beim Sterben begleitet.« Schließlich wollte er es doch versuchen. Wir organisierten verschiedene Hilfsmittel, eine qualifizierte häusliche Krankenpflege, die palliativmedizinische Betreuung durch einen Home-Care-Arzt und eine ehrenamtliche Hospizbegleitung. Wenige Wochen später starb Frau D. zu Hause. Ihr Mann berichtete, dass für ihn die ehrenamtliche Begleitung, die er zunächst doch eher als überflüssig und mit Skepsis angesehen hatte, eine besonders große Hilfe gewesen sei. Zwei Jahre später kam eine Heiratsanzeige: Herr D. und die Hospizhelferin hatten sich zusammengetan – auch siehatte einige Jahre zuvor Ihren Ehemann im Sterben betreut …
10. Bestimmen können, wer beim Ende dabei sein soll
    In der Sterbestunde eines anderen dabei sein zu dürfen und den Moment des Todeseintritts mitzuerleben, ist eine besondere Erfahrung, aber auch ein Geschenk, das den Angehörigen nicht immer zuteilwird. Die letzte Stunde lässt sich oft nicht planen – sie ist auch von Zufällen, von spontanen Entscheidungen abhängig, gerade wenn das Sterben in einem Krankenhaus oder in einem Heim erfolgt. Aber wenn sich der Tod ansagt, dann möchte ich, dass meine Kinder und meine Frau das wissen und sich gut begleitet verabschieden können. Es ist keine Niederlage, wenn man einen Todesaugenblick nicht miterlebt, wenn man vielleicht sogar im Raum ist, »es« jedoch gar nicht bemerkt oder den Moment verschläft. Der Tod sucht sich auch Freiräume – vielleicht um gerecht zu sein? Ich wünsche mir, dass diejenigen, die in meiner Sterbestunde dabei sind, die Wirklichkeit meines Todes in seiner Bedeutsamkeit für ihr Leben und ihre Zukunft annehmen können und dass dieser Augenblick in seiner Feierlichkeit auch zu einer guten Erinnerung wird. Außerdem wünsche ich mir, dass diejenigen, die nicht dabei sein können, nicht das Gefühl haben, etwas versäumt zu haben. Vielleicht ist es ja auch besser, ganz für mich zu sterben … Ich möchte im Sterben nicht bemitleidet werden und ich möchte auch nicht, dass die Begleitung meines Sterbens eine Verpflichtung wird … doch wenn mich jemand dann, wenn ich tot bin, noch einmal sehen möchte, so bin ich – zumindest jetzt – gerne bereit, ihn zu empfangen.
    Ähnlich wie bei Thomas Bernhard wurde auch das Leben Anton Tschechows, der nach seinem Medizinstudium kurze Zeit als Landarzt gearbeitet hatte, ehe er sich ganz der Literatur zuwendete, von einer lang andauernden chronischen Lungentuberkulose überschattet. Tschechow starb am Morgen des 12. Juli 1904 im Hotel Sommer während eines Kuraufenthaltes in Badenweiler. Das Sterben des berühmten Schriftstellers wird in den Memoiren seiner Ehefrau Olga Knipper und im Bericht des Studenten Lev L. Rabeneck, der die Deutschlandreise des Schriftstellers begleitete, ausführlich beschrieben: Kurz nach Mitternacht war Tschechow mit schwerer Atemnot aufgewacht. Er entfernte den auf seiner Brust liegenden Eisbeutel mit der Bemerkung, dass man auf ein leeres Herz kein Eis zu legen brauche, und bat erstmals in seinem Leben selbst darum, einen Arzt kommen zu lassen. Olga Knipper ließ den Arzt holen, der ihm über eine Maske Sauerstoff gab und eine Kampfer-Injektion verabreichte – damals ein beliebtes Mittel zur Kreislauf-Anregung. Nach wenigen Minuten bat Dr. Schwoerer den ebenfalls im Sterbezimmer anwesenden Studenten, eine Flasche Champagner zu bringen – ein bei den Ärzten der damaligen Zeit üblicher Brauch, wenn am Krankenbett eines Kollegen der nahe Tod zur Gewissheit wurde. 219 Olga Knipper schreibt über die letzten Minuten ihres Mannes: »Anton Pavlovic setzte sich auf und sagte irgendwie bedeutungsvoll, laut zu dem Arzt auf deutsch (er konnte nur sehr wenig deutsch): ›Ich sterbe …‹ Dann nahm er das Glas, drehte das Gesicht zu mir, lächelte sein wunderbares Lächeln, sagte: ›Ich habe so lange keinen Champagner mehr getrunken …‹, trank das Glas in aller Ruhe aus, legte sich still auf die Seite und war bald für immer verstummt.« 220
11.
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