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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod
Autoren: Beatrix Gurian
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Prolog
    E r ist tot. Der Mensch, dessen Herz ich eine Zeit lang in meinem Herzen getragen habe. Eine schrecklich kurze, schrecklich lange Zeit. Die Polizei hat seinen Leichnam freigegeben und heute, an diesem strahlend schönen Sommertag, wird das, was von ihm übrig ist, eingeäschert und dann in einer Urne im Familiengrab versenkt. Es fällt mir schwer, der leise vor sich hin summenden Bernadette über all die ordentlich bepflanzten Gräberreihen hin zur Aussegnungshalle zu folgen. Dieses Summen stört mich, aber ich kann es nicht ertragen, schon wieder mit ihr zu streiten, nicht nach dem, was zwischen uns passiert ist. »Was singst du da«, frage ich mühsam beherrscht. Sie zuckt zusammen und schaut mich verlegen an. »Ziemlich taktlos von mir«, gibt sie zu. »Ich hab’s nicht mal gemerkt.« Von der Friedhofskapelle höre ich eine Glocke läuten. Ich muss schlucken. »Erinnerst du dich noch an die Beerdigung deines richtigen Vaters?«, frage ich. Bernadettes Blick verschleiert sich, sie senkt den Kopf. »Ja, sogar ziemlich deutlich. Es war ein kalter Tag, ich hatte mit Mama gestritten, weil ich eine sehr kratzige Strumpfhose anziehen musste. Ich hatte damals keine Ahnung, dass Papa für immer weg sein würde.« Bernadette steckt sich eine ihrer goldenen Haarsträhnen hinters Ohr und zeigt hinauf zum wolkenlos klaren Himmel. »So wie es uns erklärt wurde, war Papa mal kurz dort oben im Paradies. Was die den Kindern für einen Schwachsinn erzählen.« »Genau das Gleiche haben sie mir damals auch gesagt.« Ich kann Bernadette nicht ansehen. »Dass Mama vom Himmel aus immer auf mich aufpassen würde.« »Und hat sie?« Auf Bernadettes Stirn glitzern Schweißperlen und ihre ordentlich gebügelte, viel zu enge schwarze Bluse hat schon die ersten Knitterfalten. »Ich weiß nicht«, erwidere ich, aber das stimmt natürlich nicht. Denn wenn es tatsächlich so etwas gäbe, einen Geist oder eine Art Schutzengel, zu dem meine Mutter geworden wäre, dann hätte sie niemals zugelassen, dass ich getan habe, was ich getan habe. Ich sehe hinüber zum Krematorium, in dem seine Leiche nachher verbrannt werden soll. Daneben, vor der Aussegnungshalle warten unglaubliche Menschenmassen. Ich weiß, dass Brigitte versucht hat, den Termin geheim zu halten, aber ganz offenbar ist ihr das nicht gelungen, denn jetzt sehe ich sogar eine Fernsehkamera. Abrupt bleibe ich stehen, die Luft um mich herum kommt mir noch stickiger vor. Was hast du denn erwartet, Lissie? Er war so etwas wie ein Promi, der Mann der Keilmann-Erbin, sein plötzlicher Tod hat seit Tagen in der Klatschpresse für Aufsehen gesorgt. Violetta und Nico tauchen auf, sie sind zusammen mit Brigitte gefahren, offensichtlich haben sie den Südeingang genommen. Ihre Mutter, die blass und ernst aussieht, geht zwischen ihnen, sie drängen sich alle drei dicht aneinander und plötzlich weiß ich, dass ich das nicht kann, ich kann dort nicht hin, ich gehöre nicht zu dieser Familie.
    »Geh du schon vor, ja?«, bringe ich gepresst hervor . Bernadette sieht mich zögernd von der Seite an. »Na gut«, erwidert sie schließlich. »Aber lass mich bloß nicht allein! « »Bestimmt nicht.« Ich weiß, dass ich schon wieder lüge, abe r ich kann es nicht ertragen, diese Trauerfeier durchzuhalten , nicht an der Seite von Bernadette und Nico, von Brigitte un d Violetta. Stattdessen werde ich mir einen schattigen Plat z suchen und meinen eigenen Gedenkgottesdienst abhalten . Ich warte, bis Bernadette bei ihrer Familie angelangt ist, un d laufe dann weiter über den Friedhof, immer weiter, bis ic h das Gefühl habe, dass ich genügend Abstand zwischen si e und mich gebracht habe . Eine Bank steht vor einer hohen Kiefer, neben einem Brunnen , aus dem leise Wasser tröpfelt. Es riecht nach feuchter Erd e und ganz leicht nach Rosen. Von hier aus kann ich auf ein e riesige Eibe schauen, durch die alle Sonnenstrahlen wie durc h einen Fächer gebündelt werden. Es ist so friedlich, dass ic h beinahe vergessen könnte, an welchem Ort ich hier bin . Aber vergessen, warum ich hier bin, das kann ich nicht . »Hilf mir«, höre ich eine leise Stimme . Ich drehe mich um . Niemand . Da höre ich wieder seine Stimme: »Hilf mir. « Aber das kann nicht sein. Er ist tot . Tot, tot, tot . Drüben in der Aussegnungshalle, einige Hundert Meter vo n mir, findet gerade die Trauerfeier für ihn statt . »Hilf mir . . .«, höre ich es jetzt ganz deutlich, so wie das Vogelgezwitscher in den Bäumen. »Hilf mir... «
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