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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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Suche nach Sinn dazu beiträgt, dass ich in einem Gefühl der Sicherheit, das die Menschen, die mich begleiten, einschließt, und mit einem Lächeln im Gesicht sterben kann.
    Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard litt über 40 Jahre lang an einer lebensbedrohlichen Lungenerkrankung, die ihn immer wieder auch literarisch beschäftigte. »Er hat nie gewußt, leb’ ich nächstes Jahr noch oder halt’ ich noch ein Jahr durch, halt’ ich noch zwei Jahre durch«, berichtete sein jüngerer Halbbruder, ein Internist, der ihn zuletzt ärztlich betreute, kurz nach seinem Tod im Jahr 1989. In der 1978, elf Jahre vor seinem Tod, erschienenen Erzählung Ja schreibt Bernhard: »Wenn sich, was an dieser Methode ja schon einige Zeit tatsächlich erkennbar ist und auch im Medizinischen schlüssig ist, diese Anfälle weiter verstärken, daran ist ja allein aus der Folgerichtigkeit der bisherigen Anfälle keinerlei Zweifel, werde ich nicht mehr viele Anfälle haben. Insofern ist mir die Zukunft doch klar und es hätte keinen Zweck, voreilig zu sein. Die von mir geführte Existenz, die naturgemäß ja schon lange Zeit nur mehr noch von meiner Krankheit geführt wird, ist in ihr Endstadium eingetreten.« Am 11. Februar 1989, zwei Tage nach seinem 58. Geburtstag und einen Tag nachdem er sein Testament beim Notar in Salzburg hinterlegt hatte, verschlechterte sich sein Zustand dramatisch. In den Tagen zuvor hatte sich Thomas Bernhard von seinen vielen Freunden verabschiedet. »Mit so einem Schluck Most auf der Zunge möchte ich sterben«, sagte er z.B. der Wirtin seines Lieblingslokals zum Abschied und nahm eine Flasche des geliebten Mostes mit nach Hause. Am Abend des 11. Februar sagte er dann, wie sein Bruder in der Erinnerung berichtet: »Schau, das ist jetzt eigentlich der Todestag vom Großvater. Ein Zufall, weiter nichts.« Der Großvater Thomas Bernhards, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, war 1949, 40 Jahre zuvor gestorben. Zur gleichen Zeit war Bernhards Lungenerkrankung aufgetreten, und er lag damals im Sterbezimmer des Salzburger Landeskrankenhauses, wo er erstmals mit dem Tode rang.
    Am Morgen des 12. Februar 1989 starb Bernhard im Schlaf, den ihm sein Bruder im Kampf gegen die unerträglichen Erstickungsanfälle durch eine einfühlsame Medikation ermöglicht hatte. 218
9. Möglichkeiten der Hospizbetreuung haben – nicht nur im Krankenhaus
    Ich wünsche mir einen Kümmerer. Das kann ein Arzt sein, ein Freund, ein Mensch aus der Familie oder ein Hospizhelfer. Es soll ein Mensch sein, der weiß, worauf es ankommt, der Erfahrung hat und mit Gefühl die Dinge anpackt, die wichtig sind, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Ich möchte dann, wenn ich hilfs- und pflegebedürftig bin, nicht allein sein, aber ich möchte auch, dass die Menschen, die mich umsorgen, nicht an Grenzen gelangen und zu sehr belastet werden. Ich wünsche mir einen Kümmerer, der auch für die Menschen da ist, die mich begleiten. Ich möchte nicht einsam sterben – ich möchte, dass diejenigen, die mich in meiner letzten Lebenszeit begleiten, mein Sterben so annehmen können, wie ich es für mich annehmen möchte – es nicht verdrängen, sondern es ernst nehmen und trotzdem dabei auch lächeln können. Vielleicht möchte ich auch allein sein, vielleicht brauche ich auch die Ruhe des Rückzugs – vielleicht finde ich doch nicht die Kraft, nicht die rechte Einstellung, vielleicht brauche ich auch eine andere Umgebung, in der das Sterben »gelingen« kann, das alles erwarte ich von einem Kümmerer. Aber vielleicht finden auch die Menschen, die mir nahe sind, nicht den richtigen Weg, nicht die Kraft oder die Zeit, auch dann wünsche ich mir einen kompetenten Kümmerer, der meinen, der unseren Weg begleitet.
    Ich habe selten einen Menschen so aufopferungsvoll in der Sterbebegleitung erlebt wie Herrn D., einen erfolgreichen Manager in der Kosmetikbranche – immer beschäftigt, immer unterwegs. Vor zwei Jahren war seine Frau an einem bösartigen aggressiven Hirntumor erkrankt, und er hatte sich vorzeitig berenten lassen, um seiner Frau beizustehen. Immer wieder wurden Krankenhausaufenthalte notwendig, bei denen sich Herr D. zum Rooming-in mit aufnehmen ließ, um die Ängste und Panikattacken seiner Frau zu mindern und bei den zunehmend häufiger auftretenden Krampfanfällen sofort Notfallmedikamente verabreichen zu können. Herr D. hatte sich in diese Aufgabe schnell eingearbeitet und achtete sehr besorgt darauf, dass alles richtig
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